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Archiv-Artikel

Ich such im Schnee vergebens

Franz Schuberts „Winterreise“ als Tanzabend im Kleinen Haus des Theaters Münster

Lässt sich „Am Brunnen vor dem Tore“ ohne ironische Distanz choreographieren? Regisseur Daniel Goldin kann nichts für deutsche Traditionen der Schubert-Verkitschung. Das Lied ist nun mal fester Bestandteil der „Winterreise“, die er an den Städtischen Bühnen Münster inszeniert. Der Zyklus 24 „schauerlicher Lieder“, die Franz Schubert „mehr angegriffen“ und „mehr gefallen“ haben „als alle“ anderen, die von der Wehmut verlorener Liebe, aber offenbar auch der Trostlosigkeit reaktionärer gesellschaftlicher Verhältnisse im frühen 19. Jahrhundert handeln.

Das Bühnenbild ist da höchst plausibel. Ein weißer, karger, abweisender Innenhof mit Peitschenleuchte, einem hohen, stacheldrahtgekrönten Gitterzaun links, einer Bank rechts; drei kahle Birken, Ein- und Ausgang auf beiden Seiten. Ein Gefängnis in mehrfacher Bedeutung, vor dessen weißer Raumtiefe die je vier schwarz gekleideten Tänzerinnen und Tänzer anfangs wie Scherenschnitte wirken.

Immer wieder gelingen beeindruckende Szenen der Ausweglosigkeit. Die Frau, die minutenlang mit verschränkten Armen vor Kälte auf hohen Hacken trippelt. Sie starrt in den Raum, nutzlos und unwillig wartend. Oder Frauen, die auf den Händen von Männern laufen. Schritte durch die Luft oder an einer Wand hoch, die gerade kein Entkommen bedeuten. Denn die Hände halten sie fest. Männer, die auf engstem Raum in die Irre gehen. In ständiger Wiederholung. „Ich such im Schnee vergebens“, heißt es im Lied „Erstarrung“.

Vergebens sucht der Zuschauer allerdings auch nach einer wirklichen Gestaltung der musikalischen Vorlage, die diese aus der allzu starken Assoziation mit ihrer traditionellen Aufführungspraxis befreien würde: Dem großbürgerlichen Liederabend mit dem Tenor im Frack, der Sopranistin im Großen Schwarzen vorm Flügel. Die teils synchrone Verwendung dreier verschiedener Aufnahmen - Peter Anders (1945), Brigitte Fassbaender, Christoph Prégardien - ändert daran nichts. So bleibt es beim Abspulen von Nummer auf Nummer - auf Kosten von Dynamik oder einer radikaleren Interpretation melancholischer Erstarrung. MARCUS TERMEER

Theater Münster (Kleines Haus)17. Januar 19:30 UhrKarten: 0251-41467100