: Gräser zu Grafiken
Das Museum für Photographie in Braunschweig präsentiert ,,Toni Schneiders - ein Klassiker der deutschen Fotografie“AUS BRAUNSCHWEIG JENS FISCHER
,,Schwarz-Weiß!“ So schlicht, so dankbar, geradezu erlösend prunkt der Besucher-Kommen- tar auf der aufgeschlagenen Seite des Gästebuchs, das im Braun- schweiger Museum für Photo- raphie ausliegt.
Schwarz-Weiß: die verwirren- de Farbigkeit der Realität und die brutale Buntheit einer nach Auf- merksamkeit gierenden Umwelt übersetzt in die unendlich abge- stufte Vielfalt von Grautönen - damit auf Distanz gerückt, so dass sich der Blick in Ruhe wie- der schärfen, konzentrieren kann.Eine kleine Befreiung. Auch wird Schwarz auf Weiß die konstruktive Kraft der Kame- ra, die subjektive Inbesitznahme von Welt, nicht mehr verschlei- ert, sondern das fotografische Abbild als poetische Inszenie- rung deutlich.
Toni Schneiders war dabei ei- ner der stilbildenden deutschen Nachkriegsfotografen. Durch seine technisch virtuose Gegen- licht-Ästhetik bewegte er sich weit ab der schmachtenden im- wie wild bewegten expressionis- tischen Fotografie, um in der Na- tur grazile Strukturen als grafi- sche Kompositionen zu entde- cken. Gestaltung eines Bildes be- deutet für Schneiders: Reduktion auf die formalen Elemente, Kon- zentration auf die Materialität der Oberflächen und die Faszina- tion ihrer irisierenden Möglich- keiten, Licht zu brechen und zu reflektieren.
,,Weiß auf Schwarz“ ist auch eine der 120 ausgestellten Auf- nahmen betitelt, mit denen das rührige Foto-Museum einen ,,Klassiker“ ihres Genres ehrt: zu sehen ist der weiß glühende Se- gelschifffleck auf endlosen Wel- lenverläufen des Meeres, die wie eine zähflüssige, per Malerrolle aufgetragene Deckweiß- Schwarz-Mischung vor sich hin changieren. ,,Rendez-vous in schwarz-weiß“ heißt ein anderes Foto, das einen pechschwarzen mit einem schmutzig weißen Hund auf gleißendem Schnee konfrontiert: ein ironisches Spiel des Fotografen mit seiner Lust auf extreme Kontraste und schmerzend klare Schärfe - ohne Schärfentiefe.
Schneiders` Bilder kommen häufig ohne Fluchtpunkt, ohne Tiefe aus. Wasser-Spiegelungen wirken wie Kaligrafien, Gräser wie gegenstandslose Federzeich- nungen, Eiskristalle wie Licht- malerei, Uferszenarien wie Ra- dierungen. Immer strahlen die Bilder eine angenehme Stille aus und wirken bescheiden sachlich in ihrer Schönheit. Betrachtung als Verlockung. ,,Schwarz-Weiß!“ Der Museum für Photogra- phie e.V. war einer der Vorreiter für heutige Fotografie-Museen wie die Deichtorhallen in Ham- burg. Vor 20 Jahren stellte man noch in leer stehenden Geschäf- ten und Braunschweiger Galeri- en aus, bis vor 14 Jahren eines der klassizistischen, 200 Jahre alten Torhäuser (der Wachleute und Zoll-Beamten) am ehemaligen Steintor bezogen werden konnte. Seit zwei Jahren kann auch das baugleiche Gebäude auf der ge- genüberliegenden Straßenseite mitgenutzt werden. An die 9.000 Besucher werden seither ährlich gezählt.
Geschäftsführerin und Kura- torin des 120 Mitglieder starken Trägervereins ist die Kunstwis- senschaftlerin Wiebke Ratze- burg. Sie muss jede Ausstellung komplett durch Sponsoren fi- nanzieren lassen. Der städtischer Zuschuss reicht gerade für Perso- nalkosten und den Unterhalt der Museumsgebäude. Ratzeburg hat Schneiders persönlich aufge- sucht und zu dieser Ausstellung überredet.
Der 1920 geborene Fotokünst- ler lebt am Bodensee und arbei- tet seit zwei Jahren nicht mehr. ,,Er hat aber“, berichtet die Kura- torin, ,,seine eigenen Abzüge für die Schau selbst ausgesucht.“ Und ihr seine Lebensgeschichte erzählt. Noch vor dem 2. Welt- krieg schloss Schneiders eine Fo- tolehre als Meister ab, wurde aber sogleich zur Frontberichter- stattung über eine Fallschirm- truppe eingezogen. Ratzeburg: ,,Für Schneiders die schlimmste Form der Auftragsarbeit, die er je gemacht hat, warum er sich spä- ter radikal von der propagandis- tisch missbrauchten Dokumen- tarfotografie ab- setzte.“ Und die in Deutschland abgebrochenen Kunsttraditio- nen der Vor- kriegszeit wieder aufnahm - etwa Neue Sachlichkeit und Bau- haus.
Wobei die Tendenz zur Abs- traktion als Abkehr von der ob- jektiven politischen Realität zu verstehen ist, andererseits aber auch als Hinwendung zur Offen- heit und Subjektivität der indivi- duellen Wahrnehmung. So nimmt er im Eis eingeschlossene Luftblasen so auf, als hätte er eine neue Milchstraße entdeckt. Programmatisch sind die ,,Spiegelnden Scheiben“. Sie zei- gen ein Gesicht, das hinter spie- geleffektivem Glas verschwin- det. Um einen persönlichen Aus- druck einzufangen, ging Schnei- ders nicht nahe genug ran. Und der rein formalen Abstraktion widerspricht, dass sie von der schweigenden Silhouette unter- brochen wird. So balanciert Schneiders immer zwischen ge- genständlich und abstrakt, Ab- bild und Strukturbild.
Dieser Dualismus vermag auch die stilistische Unsicher- heit nach dem Krieg am besten zu charakterisieren. Was immer SchneidersindenFünfzigern vor der Linse kam, er stellte den ,,ein- samen Gegenstand“ in den Mit- telpunkt - als Sinnbild einer existenzialistischen Vereinze- lung. Die Tristesse wird betont durch Regen, Matsch, Wind, me- lancholische Bli- cke. Bilder von statischer Gegen- ständlichkeit. Egal, ob Schneiders in das Antlitz eines Freundes oder auf ein fein komponiertes Gewirr von Eisen- bahnschienen blickt.
Ganz anders die auch ausge- stellten Reisereportagefotos aus den Sechzigern, die für Zeit- schriften und Bücher entstan- den. Ob in Griechenland, Japan oder Äthiopien: Schneiders zeigt Menschen und Alltagsszenarien in warm temperiertem Schwarz- Weiß und voll unsentimentalem Stolz: rationalisierte Idyllen. noch bis 15.2., Di bis Fr 13 bis 18 Uhr, Sa bis So 14 bis 18 Uhr