: „Der Streit um das Kopftuch verdeckt die wahren Probleme“, meint Frigga Haug
Linke und Feministinnen fordern: „Frauenfeindliche Ausländer raus aus Deutschland“ – Nur eine Provokation?
taz: Frau Haug, Sie haben einen offenen Brief unterschrieben, der beklagt, das Kopftuch sei ein Symbol für die Unterdrückung der Frau. Mit diesem Argument begründen mehrere CDU-Bundesländer ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen.
Frigga Haug: Solche Widersprüche sind Teil des politischen Handelns. Als die Frauenbewegung vor dreißig Jahren die Anerkennung der Hausarbeit forderte, wurde dies auch von der CDU aufgenommen, weil sie die Anziehungskraft von Familie und Haushalt für die Frauen stärken wollte. Das heißt doch nicht, dass der Kampf um die Anerkennung der Hausarbeit der Frauen falsch war. Das zeigt nur, dass man beim Kämpfen beständig Stand- und Spielbein wechseln muss.
CDU-Länder argumentieren, das Kopftuch sei ein politisches Symbol, anders als christliche Symbole, die für unsere aufgeklärte abendländische Kultur stünden. Ist das in Ihrem Sinn?
Nein. Wir sagen: Jawohl, ihr könnt Mandatsträgerinnen das Tragen religiöser Symbole verbieten – aber bitte schön komplett. Also auch christliche Symbole und Nonnen raus aus der Schule. Die Trennung von Kirche und Staat ist eine Errungenschaft des vorigen Jahrhunderts und für alle Menschen, die von Unterdrückung bedroht sind, absolut notwendig. Nehmen Sie Portugal oder Polen: Gerade erst gab es einen Bericht, dass Portugal das Abtreibungsverbot verschärft hat: drei Jahre Haft für Frauen, die abtreiben. Mit der Folge, das tausende pro Jahr daran sterben, weil sie das illegal machen. Das vor Augen, wollen wir die Trennung von Staat und Kirche verteidigen. Es muss einen öffentlichen Raum geben, der neutral ist.
Davon steht aber kein Wort in dem offenen Brief. Da steht: Ausländer, die Frauenrechte missachten, sollten ausgewiesen werden. Das klingt nach Günther Beckstein.
Dieser Aufruf ist eine Provokation und ist nicht 1:1 zu lesen. Sehen Sie: Jonathan Swift hat einmal einen Vorschlag gemacht, wie England sein Armenproblem lösen könne. Genau wie im Kopftuchstreit wurde damals über alles Mögliche diskutiert: über Sitte und Anstand, Moral und Erziehung. Da schlug Swift vor, die Reichen sollten doch die Kinder der Armen mästen, in den Wäldern aussetzen, und sie gegen Gebühr erschießen. Das ist satirisch so überhöht, dass es die Diskussion auf „Was passiert hier eigentlich?“ lenkt.
Der satirische Gehalt Ihres offenen Briefs ist uns bislang entgangen. Sie stellen eine Minderheit unter Generalverdacht.
Ich finde es richtig, zu sagen: Hier gibt es ein Problem des Selbstbestimmungsrechts der Frauen und der Möglichkeit, einen allgemeinen Standard von Emanzipation, Bildung und Freiheit zu erreichen. Aber unser Aufruf lässt sich natürlich verallgemeinern: Da könnte man mit Swift sagen: Auch deutsche Männer, die sich so verhalten, sollten ausgewiesen werden. Es gehört übrigens auch zur abendländischen Geschichte, dass das Selbstbestimmungsrecht der Frauen sehr jung ist. Als ich Abitur machte, da durfte ich noch kein Konto eröffnen und keinen Beruf wählen ohne Einwilligung des Ehemanns. Das steckt doch in unserer Kultur noch drin.
Finden Sie diesen Brief völlig unproblematisch?
Man könnte den Brief so lesen, dass die muslimischen Frauen durch die Bank Kopftücher tragen wollen und ihre eigene Unterdrückung begrüßen, weil sie nichts anderes kennen. Und wir, die Retter, die sie zwangsemanzipieren.
… in der Tat …
Das ist aber nicht so gemeint. Der Aufruf soll provokant das Bigotte der Kopftuchdiskussion beleuchten. Auch auf der Linken hat man ja oft gesagt: Das ist Folklore – und die wollen das. Ohne dass jemand studiert hat, welche Bedeutung dieses Kopftuch für diese Frauen hat. Das ist so, als würde man die eingeschnürten Füße der Chinesinnen verteidigen und sagen: Im Grunde wollen die solche winzigen Schritte machen und ans Haus gefesselt bleiben.
Kopftuchträgerinnen sagen häufig, dass dies ihre individuelle Entscheidung ist – und sogar ihrer Emanzipation nutzt. Beeindruckt Sie das gar nicht?
Auch als die Frauenbewegung die Hausfrauen aus dem Haus ziehen wollte, gab es Frauen, die sagten: Das ist mein freier Wille, ich möchte das. Nichts ist schöner, als Hausfrau in einer Kleinfamilie in einer Ikea-Wohnung zu sein. Die Frage ist doch: Werden sie damit glücklich?
Weil es mit den Hausfrauen nicht so recht geklappt hat, versucht man es jetzt mit den muslimischen Frauen?
Nein. Es gibt keine Emanzipation, die nicht von den betroffenen Frauen selbst in die Hand genommen wird.
Meinen Sie, es ist im Sinne der Frauen, denen Sie helfen wollen, ihren Vätern und Brüdern mit Ausweisung zu drohen?
Sie unterstellen, dass diese Provokation Wirklichkeit wird. Aber es wird kein Gesetz geben, dass Väter ausgewiesen werden, wenn sie ihre Töchter nicht studieren lassen. Das ist ein Witz.
Unter Migranten dürften dieser Witz nicht auf allzu viel Verständnis stoßen.
Das wäre eine Frage an die Wirklichkeit. In allen kulturellen Revolutionen, etwa gegen den Missbrauch von Mädchen, gab es immer diese Debatte: Wollt ihr wirklich die Väter verunglimpfen und aus der Familie entfernen? Aber es muss etwas geschehen, um die Verhältnisse in den Familien zu skandalisieren. Durch die Art, wie der Kopftuchstreit geführt wird, werden diese Probleme zugedeckt. INTERVIEW: DANIEL BAX