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Archiv-Artikel

Daten über Demonstranten

Europol sammelt Polizeiinformationen. EU-weit. Nun wird in Brüssel über Ausbau und Kontrolle der Behörde diskutiert

von CHRISTIAN RATH

Europol hat nicht viele Freunde. Die Kriminellen mögen die Behörde nicht, klar, denn für sie wäre es angenehmer, wenn die Polizei nicht über die nationale Grenze hianusblicken würde. Auch die Bürgerrechtler sind skeptisch, weil hier eine neue, schwer zu kontrollierende Sicherheitsbehörde entsteht. Am schmerzhaftesten ist für Europol-Direktor Jürgen Storbeck allerdings die nach wie vor bestehende Reserviertheit der nationalen Polizeiapparate. Trotz aller Sonntagsreden wird die Europäische Polizei vielerorts noch als Konkurrenz oder sogar als Bedrohung der nationalen Souveränität gesehen.

Diese Skepsis spiegelt sich auch in den Beratungen des Konvents. Zwar ist klar, dass die Arbeit von Europol ausgeweitet und effizienter werden soll. Über Umfang und Tempo der Fortschritte besteht aber noch keine Einigkeit.

Europol ist inzwischen schon mehr als zehn Jahre alt. 1992 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf die Einrichtung einer gemeinsamen Polizeibehörde in Den Haag. Ab 1994 begann Europol dann provisorisch zu arbeiten. Der offizielle Start fand aber erst 1999 statt, denn so lange dauerte es, bis alle 15 EU-Staaten die Europol-Konvention verabschiedet hatten.

Heute ist Europol vor allem eine große Datenzentrale: Einerseits arbeiten hier nationale Verbindungsbeamte zusammen, die den Daten- und Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden der EU-Mitgliedsstaaten abwickeln. Daneben baut Europol aber auch eigene Datensammlungen zu grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren auf. „Wir versuchen, nationale Polizeierkenntnisse zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, um dieses – quasi aus Adlersicht – einzuschätzen.“

Abhängig ist Europol auch hier von der Kooperation der nationalen Polizeibehörden. Liefern diese keine Daten, bleibt die Analysefähigkeit von Europol begrenzt – weshalb die nationalen Behörden erst recht an Europol zweifeln. Ein Dilemma, aus dem inzwischen aber der 11. September den Ausweg gewiesen hat. „Es läuft heute wesentlich besser als früher“, erklärte Storbeck bei einer Tagung über internationale Terrorismusbekämpfung, „aber immer noch mangelhaft.“ Schon aus pädagogischen Gründen überlässt Europol die Präsentation gemeinsamer Fahndungserfolge stets den nationalen Polizeibehörden.

Zuständig ist Europol derzeit nur in bestimmten Kriminalitätsbereichen, die in der Europol-Konvention aufgeführt sind. Zunächst ging es um den Handel mit Drogen, radioaktiven Substanzen, geklauten Autos, um Menschenhandel und um illegale Migration. Inzwischen ist Europol auch für internationale Formen von Terrorismus, Organhandel, Rassismus, Schutzgelderpressung, Produktpiraterie, Geldfälschung und Umweltkriminalität zuständig.

Dementsprechend wächst Europol auch personell. Aus einem kleinen Arbeitsstab ist inzwischen eine Behörde mit rund 400 Mitarbeitern geworden. Das pittoreske, weinbewachsene Backsteingebäude in Den Haag ist längst zu eng geworden. Als nach dem 11. September kurzfristig eine Anti-Terror-Task-Force eingerichtet wurde, mussten im Garten der gut bewachten Anlage sogar Bürocontainer aufgestellt werden.

Nun könnte man meinen, Europol habe einstweilen genug zu tun, und solle erst mal zeigen, was es kann. Doch im EU-Konvent geht es bereits um die Zukunft der Behörde. Die Konvents-AG zu „Freiheit, Sicherheit und Recht“ schlägt vor, die Polizeizusammenarbeit nicht mehr durch umständliche Konventionen zu regeln, die der Ratifikation aller nationalen Parlamente bedürfen. So soll die Europol-Konvention in eine Verordnung umgewandelt werden. Sie könnte dann per bloßen Ratsbeschluss, eventuell sogar mit qualifizierter Mehrheit, geändert werden. Denkbar wäre dann eine Ergänzung der Zuständigkeiten im Hinblick auf Fußball-Hooligans und potenziell gewalttätige Demonstranten.

Internationale Demodateien machen aber auch die Problematik von Europol deutlich. So könnte ein deutscher Demonstrant in Griechenland präventiv festgenommen werden, weil er der Polizei in Italien negativ aufgefallen und nun in einer Europol-Datei gespeichert ist. Doch wie soll ein in Athen festsitzender Deutscher belegen, dass die Anschuldigungen aus Italien übertrieben oder sogar falsch sind?

Allerdings sind solche Vorkommnisse auch nicht ausgeschlossen, wenn Europol der Zugriff auf Demodaten verweigert wird. Wie bereits mehrfach praktiziert, arbeiten die nationalen Polizeien dann eben auf anderen Wegen zusammen, multi- oder bilateral. Die gerichtliche und politische Kontrolle ist so noch schwieriger.

Bei Europol besteht zumindest die Chance, dass hier mittelfristig die für nationale Polizeien übliche Einbindung entsteht. So fordert die zuständige Konvents-AG, dass Europol künftig voll der Kontrolle des Europäischen Parlaments und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) unterstellt wird. Konsequent zu Ende gedacht, könnte ein EU-Bürger dann gegen die Europol-Speicherung direkt beim EU-Gericht schon in erster Instanz klagen. An ein nationales Gericht müsste er sich zwar weiterhin wenden, wenn er sich gegen Maßnahmen einer nationalen Polizei wehrt, die auf EU-Vorgaben beruhten. Doch anders als bisher könnte nicht erst die letzte Instanz – nach einigen Jahren! – dem EuGH eine Zweifelsfrage vorlegen.

Seit einigen Jahren können die Den Haager Ermittler auch in den Mitgliedsstaaten aktiv werden. Allerdings werden stets gemeinsame Teams mit Polizeibeamten der Mitgliedsstaaten gebildet, wenn es um Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen geht. Alleingänge von Europol im Stile eines europäischen FBI soll es auch in Zukunft nicht geben, und zwar aus einem banalen Grund: „Es muss vermieden werden, dass Europol-Beamte aufgrund der Rechtszersplitterung Fehler machen, die der Akzeptanz unserer Einrichtung schaden würden“, erklärt Storbeck. Und auf Fehler warten nicht nur die Anwälte der konkret Angeschuldigten, sondern auch Bürgerrechtler und die Konkurrenz der nationalen Polizeien.