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Archiv-Artikel

DGB warnt vor Elite-Abitur

Schulzeitverkürzung benachteiligt Haupt- und Realschüler weiter. Gewerkschaften warnen vor „Primitiv-Pädagogik“: An Nordrhein-Westfalens Schulen droht die konservative Bildungswende

VON ANDREAS WYPUTTA

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt vor einer vorschnellen Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren. „Das Schulsystem droht immer undurchlässiger nach oben zu werden“, so Norbert Wichmann, bildungspolitischer Sprecher des nordrhein-westfälischen DGB, zur taz. Damit drohe Haupt- und Realschülern eine weitere massive Benachteiligung.

Nordrhein-Westfalens Schulministerium will bis Ostern konkrete Planungen für ein Abitur nach zwölf Jahren vorlegen und so einen früheren Berufseinstieg ermöglichen. „Wir arbeiten intensiv an einem solchen Konzept“, sagt Ralph Fleischhauer, Sprecher von SPD-Schulministerin Ute Schäfer. Eine Reihe von Fragen ist aber „noch offen“ – die Kultusministerkonferenz macht die bundesweite Anerkennung des Abiturs nicht von Schuljahren, sondern von der Summe der erteilten Wochenstunden abhängig. Sollte die elfte Jahrgangsstufe wie bisher angedeutet künftig entfallen, müssten der Unterricht bereits in den Klassen fünf bis zehn intensiviert werden.

Doch das kostet zunächst mehr Lehrerstellen: Sollte die auch im Düsseldorfer Signal als erneuertem rot-grünen Koaltionsvertrag skizzierte Regelung frühestens 2005 in Kraft treten, müsste bis 2011 mehr Unterricht in den Klassen fünf bis zehn erteilt werden, die Belastung in der Sekundarstufe II mit den Jahrgangsstufen elf bis 13 aber bliebe. „Erst danach käme die große Entlastung“, räumt Fleischhauer ein. „Insgesamt aber ist das Modell kostenneutral.“

Die Forderung des DGB: Damit wäre auch an Haupt- und Realschulen ein Mehrunterricht nötig. „Sonst kann selbst der beste Realschüler nicht mehr nach dem Ende der 10. Klasse auf das Gymnasium wechseln“, fürchtet DGB-Bildungsexperte Wichmann – die von der CDU geforderte undurchlässige Dreiteilung des Schulsystems erlebte eine neue Renaissance. Das Problem des Schulministeriums: Für mehr Lehrerstellen auch an Haupt- und Realschulen fehlt NRW-Finanzminister Jochen Dieckmann (SPD) wegen der schwierigen Finanzlage des Landes schlicht das Geld. „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr junge Leute mit Abitur“, betont aber auch Schäfers Sprecher Fleischhauer.

Rot-Grün erwägt deshalb, die Jahrgangsstufe elf als Option etwa für Leistungsschwächere zu erhalten. „Wir wollen keinen Sonderweg nur für Gymnasien“, betont die grüne Fraktionschefin Sylvia Löhrmann. Die bisherige „Primitiv-Pädagogik“ kritisiert auch DBG-Bidungsexperte Wichmann: „Allein das Sitzenbleiben kostet jedes Jahr über 80.000 Schülerinnen und Schüler ein Lebensjahr.“