: Modernes Kraftfeld Motorflug
Von der Unmöglichkeit, das 20. Jahrhundert nur zweidimensional einfangen zu wollen: „Bauhaus, Junkers, Sozialdemokratie“, Walter Scheiffeles Untersuchung über den Dessauer Traum vom Flug in eine bessere Welt
VON BENJAMIN STEINIGER
Man hätte Schamane werden sollen, am besten im fernen Jakutien. Seit Jahrhunderten ist dort üblich, was der übrigen Menschheit bis zum Jahr 1919 – dem Start des ersten Ganzmetallflugzeugs Junkers F 13 – versagt bleiben sollte: sich auf eisernen Schwingen in die Luft zu erheben. Es ist dies hier wie dort ein ambivalenter Spaß. Von niemand anderem als vom Oberschmied der Hölle und seinem Eisenhaus berichten schließlich die heiligen Männer der Steppe, wenn sie wie gerädert von ihren kultischen Fliegenpilzflügen zurückkehren.
Chemisch-elektrische Prozesse weit nüchterner Art mussten angeschoben werden, bis man auch im euro-amerikanischen Abendland mit metallurgischem Beistand zu fliegen begann. Nicht die Wachsflügel eines Ikarus und auch nicht die Seidenhaut einer Montgolfière bescherten uns den dauerhaften Zugang zur dritten Dimension. Erst als im Dezember 1903 die Gebrüder Wright einen Ottomotor – dieses stählern leichte Kraftpaket aus Mechanik, Treibstoffchemie und elektrischem Funkenflug - auf eine Art Fahrrad mit Flügeln montieren, steht der Himmel für Nicht-Geweihte offen. Seither hat sich der nomadische Fliegerraum dynamisch über die ganze Erde verbreitet. Seither kann vom Flug metallener Vögel nirgendwo mehr abstrahiert werden.
Walter Scheiffeles Untersuchung „Bauhaus, Junkers, Sozialdemokratie“ behandelt genau diese Unmöglichkeit, das 20. Jahrhundert und seine Marksteine ein- oder auch nur zweidimensional einfangen zu wollen. Scheiffele schaut tief hinein in die Fenster des berühmten Dessauer Glasgebäudes an der Gropiusallee und sieht weit mehr sich darin spiegeln, als nur den genialen Direktor der Anlage, der der Adresse seinen Namen gab. Ein veritables „Kraftfeld der Moderne“ wird hier ausgelotet und als mehrdimensionales Gewebe der geläufigen Version vom Bauhaus als Gropius’ Solospielstätte entgegengestellt.
Mindestens drei bis vier Hauptstränge und entsprechendes Personal müssen verknüpft werden, damit dem Bild vom Bauhaus in seinen Dessauer Jahren zwischen 1925 und 1932 keine entscheidende Farbe fehle. Da ist zunächst die politische Klasse im Freistaat Anhalt mit Protagonisten wie dem sozialdemokratischen Landtagspräsidenten Heinrich Peus und dem Dessauer Bürgermeister Fritz Hesse von der Deutschen Demokratischen Partei. Im sozialliberalen Anhalt steht das 1925 von rechts aus Weimar verjagte Bauhaus nicht als Fremdkörper da. Peus selbst verfolgt in der Siedlerbewegung schon lange das Ziel, der erstarkten Arbeiterschaft zusätzlich zur eigenen Presse auch das Eigenheim samt Garten zu ermöglichen. Walter Gropius als „Henry Ford des Wohnungsbaus“ ist also nicht nur als Mann von Weltgeltung willkommen, sondern pragmatisch als Siedlungsplaner und Forschungsmagnet für ein besseres Groß-Dessau.
Dritter Faktor neben sozialdemokratischer Siedlerbewegung und Gropius’ Fordismus ist das luftig intellektuelle Klima im Umfeld der Junkerswerke. Hugo Junkers und seine Ganzmetallflugflotte sind trotz Krise der industrielle Leitstern schlechthin in den 20er Jahren. 1925 werden 40% des Weltluftverkehrs zwischen Berlin, Peking, Kabul, Teheran und Buenos Aires mit Flugzeugen aus der (Duraluminium-)Schmiede des unkonventionellen Industriellen bedient. Junkers ist dabei nicht nur Produzent silberner Traummaschinen für all die, die von einer technisch geeinten, befriedeten Welt träumen. Der Demokrat macht als Förderer künstlerischen Forschens auch selbstständig mobil.
Nimmt man als vierten Strang noch die Energetik Wilhelm Ostwald hinzu, so wird vollends klar, wie intensiv die Kettfäden des Dessauer Gewebes miteinander kommunizieren: Der Chemienobelpreisträger und Monist spricht mit Gropius über seine Farbenlehre, mit Peus über und in der künstlichen Weltsprache „ido“ und zum Flugverkehr als der Leitmetapher der 20er-Jahre-Moderne hat er auch etwas zu sagen. Umgekehrt forscht man bei Junkers zum energetisch der Umwelt eingepassten (Solar-)Metallhaus.
Dass dieser weit verzweigte Dessauer Traum vom Flug in eine bessere Welt an der brutalen Realität zerschellen sollte, dass unter dem Druck von rechts auch die inneren Allianzen der Bauhäusler brüchig werden sollten, ist bekannt. Gropius ist schon vier Jahre weg, als 1932 – in Ostwalds Todesjahr – die Nazis das Bauhaus schließen. Ein Jahr später wird Hugo Junkers die Vollmacht über seine Fabrik entzogen. Peus zieht sich in sein Gartenhaus zurück. Wie Junkers stirbt er noch in den 30ern. Statt für welt verbindende Visionen steht das Ganzmetallflugzeug im Eisenhaus Europa bald im Zeichen des Oberschmieds der Hölle für die Verwüstung ganzer Erdteile.
Walter Scheiffele rekonstruiert all die Kraftlinien aus Kunst, Wissenschaft, Technik und Politik, die der Nationalsozialismus zerschnitten hat, mit genauer Kenntnis der Details. Eine Unzahl von Bildern, Skizzen, ein voluminöser Anhang mit Originaltexten und Kurzbiografien der gut zwanzig Hauptakteure sowie ein fast verspielt liebevolles Register lassen sein Dessauer „Kraftfeld“ im Buch lebendig werden. Leser und Nachahmer wären ihm reichlich zu wünschen.
Walter Scheiffele: „Bauhaus Junkers Sozialdemokratie. Ein Kraftfeld der Moderne“. form + zweck Verlag, Berlin 2003, 302 Seiten, mit 170 Abbildungen, 39,90 Euro