piwik no script img

Archiv-Artikel

Never mind the Pollocks

Mehr Farbe pro Quadratmeter! Mit der Ausstellung „Painting Pictures“ leistet das Kunstmuseum Wolfsburg einen Beitrag zum Hype um die neue Malerei, bezieht aber auch Foto und Video mit ein

von HARALD FRICKE

Nicht immer hat die Malerei auf Fragen geantwortet, die an sie gestellt wurden. In der Nachkriegsmoderne zumindest war meistens Verweigerung mit im Spiel. Diese Widerspenstigkeit hat Ad Reinhardt in einem frühen Cartoon artikuliert: Vor einem abstrakten Gemälde steht ein kleiner Mann und amüsiert sich darüber, was das Geflecht wohl darstellen könnte. Daraufhin poltert es aus dem Bild zurück: „What do you represent?!“ – und der kleine Mann ist sprachlos.

Reinhardts Kommentar passte in eine Zeit, in der Malerei viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um auch noch auf blöde Fragen von außen einzugehen. Zugleich hat diese Ablehnung einiges dazu beigetragen, dass die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit anderswo stattfand: Wer an Kunst der Gegenwart denkt, hat eher Fotografie, Video, Installationen, Performances und Konzepte im Sinn. Deshalb ist es schon erstaunlich, wie sehr der Trend in den letzten Jahren zurück zur Leinwand ging. Erst noch auf Kunstmessen als wohlfeile Investition für die Nutznießer der New Economy, dann ein wenig zaghafter in Kunstvereinen und in diesem Jahr konzertiert mit Ausstellungen wie „deutschemalerei2003“ und „Lieber Maler, male mir …“ in Frankfurt oder jetzt mit „Painting Pictures“ im Kunstmuseum Wolfsburg. Selbst die Kritik ist sehr begeistert über das „restaurative Potenzial“, wie Florian Illies im Spiegel über die „Frankfurter Schule des Sehens“ schrieb.

Korrektur der Theorie

Nun gibt es für all die Freude am Pinseln ebenso einfache wie plausible Erklärungen. In Zeiten verknappter Budgets und desolater Haushalte sind kulturelle Institutionen auf großzügige Leihgaben von Sammlern angewiesen. Plötzlich stellt man im Nachhinein fest, dass die Probleme, die sich Kunst bei der Wiedergabe von Wirklichkeit in den letzten ein, zwei Jahrzehnten gemacht hat, nicht ins Wohnzimmer jener Leute passte, die ihr gutes Geld in gängigere Artefakte investiert haben. Zwar mag der ideelle Wert eines Büchertisches oder einer Dokumentation über globale Wirtschaftsverflechtungen nicht hoch genug zu schätzen sein – aber wer würde sich die Bekümmernisse um eine trist gewordene Welt schon kaufen? Auch eine postkoloniale documenta half da nicht weiter. Bevor im letzten Sommer überhaupt der erste Videobeamer angeschaltet wurde, gab es Klagen darüber, dass Okwui Enwezor und sein Team die Malerei viel zu sehr vernachlässigt hätten. Insofern sind die zurzeit massenhaft in Szene gesetzten Ausstellungen durchaus als eine Korrektur der strengen Theorieschule vom vergangenen Jahr gedacht.

Deshalb wird man bei so viel Hype nur um etwas mehr Farbe pro Quadratmeter den Verdacht nicht los, hier würde ein Backlash vorangetrieben. Gegen den unbedingten Willen zur Aufklärung setzt Malerei nun wieder auf eine unverminderte Lust an der elegant formulierten Darstellung. Die Verführung hat natürlich Folgen: Man muss nicht päpstlicher sein als der Papst, um sich in Wolfsburg ein wenig zu wundern, dass jede Kontroverse um den drohenden Irakkrieg fehlt. Dafür kann man durch ein Kabinett flanieren, das der in London lebende Matthew Ritchie mit aufgeklebten bunten Vinyllappen und dekorativen Wandzeichnungen für seine Vorstellungen einer „infinite possibility“ ausgeschmückt hat. Gegenüber hängen kaugummiartig geplusterte Comicgesichter des Japaners Takashi Murakami, nebenan zeigt der in New York lebende Deutsche Erik Parker, wie sich berühmte Namen aus der Kunstgeschichte mit HipHop und Kumpels von der Straße zu einem psychedelischen Rorschach-Trip auf der Leinwand verschachteln lassen.

Ob In-Crowd-Partys bei Lisa Ruyter oder die melancholischen Grunge-Jüngelchen bei Brian Calvin: Kunst ist hier kein Medium der Aktualität, sondern eines, das völlig subjektiv die Welt im Kleinen wahrnimmt und zu größeren Zusammenhängen auf Distanz geht.

Niemand ist böse, nichts ist beschädigt, nur in der Installation „Controlling the Midnight Maze“ von Michel Majerus findet sich der Spuk der Gegenwart in Form einer verbogen gemalten american flag wieder. Leider ist das raumgreifende Architekturarrangement, in dem die giftigen Images wie Pop-Art-Waren positioniert sind, eine der letzten Arbeiten von Majerus, der im Oktober 2002 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Ansonsten fragt man sich schon, ob es sich mit der neuen Malerei nicht ähnlich verhält wie mit dem Metal-Boom in den 90er-Jahren, als Rockgruppen wie Guns ’n’ Roses wieder erfolgreich waren, als hätte es die hochdiffizilen Poptheorien zu Dissidenz und Nicht-Einverstanden-Sein nie gegeben.

Was Metal war, ist Malerei geworden – ein breiter Konsens, der quer zur Politisierung moderner Kunst immer gepflegt wurde (never mind the Pollocks!), nun aber erneut auch vom Diskurs flankiert wird. Die Wolfsburger Ausstellung trägt deshalb den Untertitel „Malerei und Medien im digitalen Zeitalter“, da Fotografie, Video und Malerei letztlich vor dem gleichen Problem stehen würden: Was ist ein Bild? Als Ergänzung zum Schwerpunkt, der auf der um 1968 geborenen Malergeneration liegt, gibt es mit Bill Viola die Old School der Videoästhetik, werden Andreas Gurskys großformatige Colour-Print-Interieurs aus Großraumbüros gezeigt, und bei Wolfgang Tillmans flackern im Clip „Lights (Body)“ einsam die Clublampen zum „Hecker Remix of Don’t be Light by Air“.

Indem sich „Painting Pictures“ bei der Auswahl der Medienkünstler auf unangefochtene Stars konzentriert, gerät die Gewichtung allerdings in eine auch historisch ziemlich schiefe Lage. Überspitzt gesagt scheint angesichts der wiederkehrenden Malerei das Beste aus anderen Bereichen gerade gut genug für den Vergleich. Vielleicht haben Annelie Lütgens und Gijs van Tuyl als Kuratoren des Museums aber auch bloß nicht allzu genau nach den richtigen Pendants unter aktuellen Video- und Fotokünstlern gesucht, die zum aufstrebenden Malernachwuchs passen. Das wäre indessen noch bedenklicher: Wo es um den Triumph der Ölfarbe geht, kommt es aufs digitale Beiwerk nicht an … Eine ähnlich selbstherrliche Haltung findet sich im Katalogtext von van Tuyl, wenn er zur eigenen Recherchearbeit resümierend schreibt, die Ausstellung sei westlich orientiert, „weil diese Art der Malerei ihren fruchtbaren Nährboden vorwiegend in hoch entwickelten Industrieländern mit ihren avancierten Informationstechnologien findet“. Das kann mit Blick auf die nicht minder mediengestützte Malerei in China oder Südamerika nur als Affront gegen die Globalisierung verstanden werden. Umgekehrt entwertet es die derzeit besonders in Afrika ausgeprägten künstlerischen Affinitäten zu Film und Fotografie.

Doch nicht die Konfrontation, das Nebeneinander ist gefragt. Schließlich ergeben sich die Berührungspunkte aus der Praxis im Atelier: Zum einen sind Maler heute versiert im Umgang mit Computerprogrammen, die bei der Konstruktion der Bildräume helfen und gleich mehrere perspektivische Variationen eines Gegenstandes zulassen, für die früher noch zahllose Skizzen nötig waren. Das ist eine Ökonomisierung der Produktion, die oft bis in die Wahl der Motive reicht. Nicht von ungefähr beschäftigen sich diverse Künstler mit Architekturmodellen, die erst am Rechner zerlegt und danach in Streifen und Schichtungen auf die Leinwand übertragen werden. Entsprechend haben Ben Edwards Small-Town-Cluster bei aller Dekonstruktion immer noch das charmante Design einer Vorlage für die Städteplaner von Disney World. Aber auch eine Künstlerin wie Sarah Morris schafft sich mehrere Optionen. Ihre mit leuchtender Lackfarbe aufgetragenen Oberflächen geben die Faszination an der Kälte urbaner Räume wieder, die sie in ihrem Videofilm „Miami“ mit dokumentarischen Aufnahmen von Hochhäusern und Autorennen abgleicht. Gegenwart ist bei ihr die Geschwindigkeit, mit der sich Alltag als Zeit visualisiert.

Realität als Nach-Bild

In diesen Fluss kann sich die Kunst mit jedem Medium einklinken. Trotzdem bleiben einige ganz alte und gänzlich unzeitgemäße Unterschiede bestehen. Da ist der hohe Grad der Abstraktion, mit dem in der Malerei Realität oder Imagination als Nach-Bild erzeugt wird. Technisch zielt Fotografie oder Video in der Darstellung des Gegenstands unmittelbar auf ein zeitliches Ereignis ab, während es in der Malerei der zeitliche Ablauf des Geschehens ist, der stets interpretiert werden muss – anders ist der fruchtbare Augenblick im Gemenge aus flüchtigen Situationen nicht zu haben.

Diese Differenz macht den Reiz der „Mirrors“-Serie von Doug Aitken aus, der leuchtende Billboards in ebenjenem Moment fotografiert hat, wo die Bilder auf den Tafeln umspringen. Den Bruchteil einer Sekunde erscheint die Reklame bei Aitken als weiße Leerstelle im öffentlichen Raum – wie das Negativbild zum schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch oder als Erinnerung an Robert Rauschenbergs ausradierte Willem-de-Kooning-Zeichnung. Dagegen gibt es für den medial geschulten Realisten Eberhard Havekost im malerischen Akt immer noch einiges zu verbessern, selbst wenn er Schnappschüsse als Vorlage nimmt. Dann fallen ihm komische Details auf, die er in seinen Gemälden von Palmen oder Raubkatzen farblich hervorhebt. Damit rückt seine Vorgehensweise bei aller Begeisterung für die Augenblicksunschärfen der Fotografie eher in eine Verwandtschaft zum Impressionismus und dessen Verwandlung von Flecken in Wahrnehmung. Ein Rückschritt ist das nicht, nur eine Verfeinerung der „Logik der Sensation“, wie Gilles Deleuze einmal das Fundament der Malerei genannt hat. Wer diese schlichte Erkenntnis nicht mit einem sensationellen Kantersieg der Malerei verwechselt, findet in Wolfsburg ganz brauchbare Bilder.

Bis 29. 6., Kunstmuseum Wolfsburg