: Razzia nach Generalamnesie
Martin Baur macht kurzen Prozess: Der Richter im Kölner Müllprozess veranlasst Hausdurchsuchung beim Zeugen Ruschmeier. Der hatte sich bei seiner Vernehmung vor Gericht an nichts erinnern wollen
VON PASCAL BEUCKER UND FRANK ÜBERALL
Die Bombe schlug ein, bevor der gestrige Verhandlungstag im Kölner Müllprozess überhaupt begonnen hatte. Während man im Gerichtssaal noch auf den im Stau steckenden Vorsitzenden Richter Martin Baur wartete, sickerte durch, dass der bizarre Auftritt Lothar Ruschmeiers in der vergangenen Woche unmittelbare Folgen für den Ex-Oberstadtdirektor gezeitigt hat. Nur einen Tag nach seiner Zeugenvernehmung bekam der 58-Jährige, der sich vor Gericht an nicht viel mehr als seinen Namen hatte erinnern können, ungebetenen Besuch: die 7. große Strafkammer des Kölner Landgerichts ließ am Freitag seine Wohn- und Geschäftsräume inklusive seines PKW durchsuchen. Auch die Troisdorfer Zentrale der Oppenheim-Esch-Holding, für die Ruschmeier heute als Geschäftsführer arbeitet, wurde durchsucht (s. Kasten).
Wie Richter Baur nach seiner verspäteten Ankunft im Gerichtssaal gestern bestätigte, hatte er die Razzia veranlasst, weil ihm der Sozialdemokrat ein bisschen zu vergesslich erschienen sei. Im Durchsuchungsbeschluss liest sie das so: „Das behauptete Ausmaß an Gedächtnisverlust bei einem geistig gesunden Menschen, der derzeit auch als Geschäftsführer aktiv ist, ist nichtmals im Ansatz nachvollziehbar.“ Eine „gewisse Resterinnerung“ sei immer nur dann zurück gekehrt, „wenn es gar nicht mehr anders ging“, so das Gericht. In den großen Erinnerungslücken sieht es „ein Indiz dafür, dass er etwas zu verbergen hat, was ihn selbst oder andere, die Angeklagten, belasten könnte“.
So verdächtigt das Gericht nunmehr den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden des Müllofenbetreibers AVG, „sich bzgl. der den Angeklagten vorgeworfenen Tat, der Untreue zu Lasten der AVG, der Beihilfe oder der Strafvereitelung schuldig gemacht zu haben“. Die Durchsuchung habe der Auffindung und Sicherstellung von Beweismitteln gedient, die nicht nur zur weiteren Tataufklärung, sondern „auch für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Ruschmeier von Bedeutung sein können“. Besonders interessierten sich die Fahnder neben allen Papieren im Zusammenhang mit der Planung und Errichtung der Kölner Müllverbrennungsanlage auch für etwaigen Schriftverkehr Ruschmeiers mit der Firma Holzmann sowie mit den Beschuldigten im 11-Millionen-Euro-Schmiergeldskandal.
Auf scharfe Kritik stieß die Razzia erwartungsgemäß bei Ruschmeiers Verteidiger Helmut Neumann. „Nach gründlicher rechtlicher Überprüfung halten wir den Beschluss für nicht rechtmäßig“, teilte er in knappen Worten mit. Die erhobenen Vorwürfe seien falsch, die Einlegung von Rechtsmitteln veranlasst.
Für Wirbel sorgt unterdessen, dass bei der Durchsuchung der Geschäftsräume versucht worden sein soll, „Daten zu schrumpfen“. Während des Besuchs der Polizisten seien Teile einer Computerfestplatte gelöscht worden, hieß es bei Gericht. Daraufhin soll die Polizei sämtliche elektronischen Sicherungsbänder des Esch-Fonds beschlagnahmt haben. Rechtsanwalt Neumann bezeichnete dies gegenüber der taz als unzutreffend: „Weder Herr Ruschmeier noch ein anderer Mitarbeiter der Oppenheim-Esch-Firmengruppe hat unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang mit der Durchsuchung auf elektronische Dateien irgendeinen Einfluss genommen, sie verändert oder gar zu löschen versucht.“ Darüber hinaus wies er darauf hin, dass es „Herrn Ruschmeier belastendes Material weder in den Dateien der Oppenheim Esch-Firmengruppe noch irgendwo sonst geben kann. So wurden aus dem Privathaus keinerlei Unterlagen beschlagnahmt oder mitgenommen.“