: Antiheld fürs postmoderne Dilemma
Die Welt auf der Suche nach dem Authentischen oder Daniel Johnston auf der Suche nach dem Teufel. Wäre die Welt nur ein Schwarz / Weiß-Comic… Heute Abend ist der legendäre Singer / Songwriter das erste Mal in Hamburg zu hören
Wenn man die Marvel-Welt der Superhelden-Comics betrachtet, scheint die Welt noch in Ordnung. Das Böse ist böse, die Guten sind gut. Daniel Johnston mag Captain America, eine Welt in der das Gute gegen das Böse siegt, zwei Strömungen gegeneinander kämpfen. Dieser Kampf, der so vermeintlich platt in den Comicheften die Welt in Bipolaritäten spaltet, ist für Johnston eine alltägliche Erfahrung: er hat eine Krankheit, die sich bipolare Störung nennt oder manisch-depressive Erkrankung.
Die Gründe, warum der Singer / Songwriter Daniel Johnston vom Geheimtipp der 90er-Jahre-Alternative-Szene zum von David Bowie verehrten Underground-Star avanciert ist, sind da schon vielschichtiger. Wollen die Leute einen Freak auf der Bühne sehen? Damit ihre Welt in Ordnung bleibt? Denn Daniel Johnston repräsentiert diejenigen Passagen des weißen Mittelstandsamerikas, in denen nichts mehr in Ordnung ist, in denen die heile Welt vom Teufel besessen und der christlichen Schuld-und-Sühne-Metaphorik nicht mehr zu entrinnen ist. Identifizieren die Leute diese kaputten Seelenszenarios mit ihren eigenen „Funeral Homes“? Kann man überhaupt solche Fragen stellen, ohne den Künstler selbst mit zu viel Interpretation zu überladen?
Im Interview jedenfalls beschränkt sich Herr Johnston auf die simple Logik von Rockbusiness und Starallüren. Sagt, dass er sich freue, nach Hamburg zu kommen, Deutschland sei sein Lieblingsort. Er sei gern auf Tour, es gebe leckeres Essen und er könne viele Comicläden aufsuchen. Diesmal, bei seiner ersten Tournee, die ihn auch nach Deutschland führt, wird Daniel Johnston von der niederländischen Band „John Dear Mowing Club“ begleitet. Auch das mache Spaß. Und auch einen Unterschied: „Ich habe mit vielen Leuten zusammengespielt, aber eine ganze Tour mit der gleichen Band ist etwas Neues.“
Dennoch scheint Johnstons Arbeit vor allem durch Kontinuität geprägt. So jedenfalls beschreibt er seinen Alltag. Wenn andere schlafen, sieht er sich Filme an, oft die ganze Nacht lang. Tagsüber bewegt er sich hin und her: zwischen seinem Atelier, in dem er seine merkwürdigen Comic-artigen Figuren zeichnet, und seinem Wohnzimmer, in dem das Klavier steht. Die Frage, ob es bei ihm eine Trennung zwischen Musik und Zeichnen gibt, verneint er: „It really is the same thing.“ Auch beim Songwriting gibt es vor allem Kontinuität: klare Vorbilder – die „Beatles“ –, eine Gitarre und ein Klavier sind die Hauptprotagonisten.
Warum dann aber all die Aufregung um den komischen Kauz, der immer wieder, wenn ihm Ruhm und Aufmerksamkeit zuteil wurden, seine Medikamente abgesetzt und nach Aussetzern und Ausrastern schließlich auch den Plattenvertrag mit Atlantic verloren hat. Weil er aus dem einfachen Aufbau und der simplen Logik ein Verfahren herausarbeitet. Er sagt, dass er das „Beatles“-Songbook so lange rauf- und runtergespielt habe, bis er aus den Songstrukturen beliebig neue Stücke zusammensetzen und arrangieren konnte. Analog dazu sieht man die Donald Ducks, Captain Americas, Hulks oder Popeyes, die in seinen Bildern aus ihren jeweiligen Comicwelten ausgebrochen eine Art autonomes Universum zu bewohnen scheinen.
Es ist diese gewisse Eindimensionalität, die Daniel Johnston so besonders macht: Dass er nicht zu unterscheiden scheint zwischen dem was er sagt, denkt, zeichnet, singt oder performt. Als eine Art Antiheld für das postmoderne Dilemma führt er den Leuten völlig unverkleidet vor, wie marode ihre Welt sich zusammensetzt.KERSTIN SCHROEDINGER
Sa, 1. 11., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66