in fussballland
: CHRISTOPH BIERMANN über eine Nacht an der Theke

Saufen mit Ewald L.

Nun, wo der einzige Bundesligatrainer, der Abonnent dieser Zeitung ist, seine Arbeit am Bökelberg in Mönchengladbach aufgenommen hat und die seltsamen Geschehnisse vor fast anderthalb Jahren sowieso als verjährt anzusehen sind, sollen sie hier erzählt werden. Denn noch immer erscheinen sie bezaubernd eigentümlich, was schon mit dem Ausgangspunkt zu tun hat, der bei einem Sieg des SC Freiburg im Dortmunder Westfalenstadion liegt. Bester Dinge trafen an jenem Sonntagabend meine Freunde und Kollegen Uli und Christoph auf der Rückreise in Köln ein und wollten zur Feier des schönen Erfolges unbedingt noch ein Bier trinken gehen.

Mit Andreas Rettig, dem damaligen Manager des Sportclubs, hatten sie sich verabredet, und angesichts der damals noch problematischen Sperrstunde fiel die Wahl auf eine dunkle Spelunke, die den aufs Wesentliche skelettierten Namen „Durst“ trägt. Wir nannten Rettig den Ort, und als er um eine Wegbeschreibung bat, gab er das Telefon weiter an seinen Gastgeber, der ihn an der Kneipe abzusetzen versprochen hatte. Es handelte sich zu unserer Verblüffung um Ewald L., den damaligen Trainer des 1. FC Köln, bei dem Rettig kurz Station gemacht hatte. Nur wenige Minuten später flog die Tür der Schankwirtschaft auf. Rettig rief uns zu, wir sollten doch mal auf die Straße kommen.

Dort saß der Trainer hinter dem Lenkrand seines komplett restaurierten und wirklich sehr schönen Buckel-Volvo. Mit kindlichem Stolz wies er auf allerlei hübsche Details des Oldtimers hin und forderte uns zu dem Beifall auf, den Rettig offensichtlich nicht spenden wollte. Brav zollten wir das Lob, und dann lud ich ihn ein, doch mit uns in die Kneipe zu kommen. Nicht ohne den spöttischen Hinweis, er könne dort auch eine Apfelschorle trinken. Denn eigentlich kann man sich kaum einen unpassenderen Ort als das „Durst“ für den Trainer vorstellen, der auch gerne mal ungefragt gesundheitliche Umerziehungskonzepte anbietet. In diesem Loch trinken die Menschen vielmehr stoisch ihre Biere, rauchen filterlose Zigaretten und lassen sich auch von den Pogues oder Neil Young, die in respektabler Lautstärke durch den Laden dröhnen, nicht weiter aus der Fassung bringen.

Es fand sich ein Parkplatz direkt vor der Tür, und Ewald L. betrat tatsächlich den finstren Ort. Selbst dass seine Begleiter eifrig vor sich her pafften, provozierte ihn nicht zu einem Widerwort. Heiter plaudernd tischte er vielmehr hübsche Anekdoten über seine Zeit in Duisburg auf und wurde immer gelöster. Interessiert stellte er Nachfragen zu den Geschichten, die andere erzählten, und schien immer glücklicher, etwas Abstand zur damals schon prekären Situation seines Klubs zu finden. Er war an jenem Abend herzallerliebst, doch hielten wir den Atem an, als Ewald L. sich tatsächlich ein Kölsch bestellte.

Auch der Wirt der Kneipe machte den Eindruck, als hätte er eine Marienerscheinung. Nicht nur, dass der von den Fans „Heiliger Ewald“ genannte Coach überhaupt seinen unwürdigen Laden betreten hatte, war ungeheuerlich, sondern erst recht, dass er nun auch noch ein Glas Kölsch in der Hand hielt und sogar daraus trank. Irgendwann im Laufe der folgenden Stunden kam sogar noch ein zweites Bier hinzu, und ich weiß nicht mehr, ob wir das nun anmerkten oder Ewald L. selbst darauf zu sprechen kam. Jedenfalls sagte er, dass er in seinen damals schon über zwei Jahren in Köln genau drei Kölsch getrunken habe. Bei zweien waren wir Zeugen. „Das andere habe ich bei der Aufstiegsfeier getrunken – aber nicht ganz.“

Da waren wir selbstverständlich ein wenig stolz, dabei gewesen zu sein, als Ewald L. so mächtig am Käfig der Selbstkasteiung gerüttelt und sein freundlichstes Gesicht gezeigt hatte. Weil wir von diesem heiteren Überschwang erfasst waren, nahmen wir auch gerne seine Einladung zur Fahrt im Buckel-Volvo an, obwohl es doch bis nach Hause nur wenige Schritte waren. Wir lobten noch einmal aus vollem Herzen das schöne Auto und verabschiedeten uns mit den gegenseitig besten Wünschen. Als wir uns zur Nacht betteten, waren wir nicht mehr ganz sicher, ob wir das alles wirklich erlebt hatten.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt darüber.