: Eine Welt, zwei Wege
Nur eine Straße trennt das Weltsozialforum von seiner Konkurrenzveranstaltung
BOMBAY taz ■ Nur eine Straße trennt das Konferenzgelände des Weltsozialforums (WSF) von jenem der Gegenveranstaltung – der Mumbai Resistance 2004 (MR 2004). Der Western Expressway ist ein lebensgfährlicher Grenzstreifen. Die pulsierende Lebensader in diesem Industriegebiet von Bombay kümmert sich – in Zeiten der Globalisierung – kaum um Fußgänger. Hier zählt neben dem Recht des Stärkeren nur das des Schnelleren.
Das Thema Globalisierung trennt die beiden Organisationen auch in anderer Hinsicht – wenn man im Fall des Weltsozialforums überhaupt von einer Organisation sprechen kann; die MR 2004 jedenfalls verneint das. In ihrer Freiluftausstellung neben dem Veranstaltungszelt hängt eine Karikatur, die eine Reihe von Leuten aus aller Welt zeigt, wie sie „die Charta des WSF“ ausrollen. §Keine Organisation“ steht darauf, „keine Ideologie“, „keine Militanz“, „kein Programm“. – „Yes!“, ruft Uncle Sam, der der Verkündung zuschaut. „You are with US.“
Es ist dieser Open Space – das Fehlen organisatorischer und ideologischer Vorgaben –, der die beiden Gruppierungen entzweit hat, seit die globalisierungskritische Bewegung vor zwei Jahren begann, das Forum zu organisieren. Die indischen Gruppierungen sind so zahlreich, dass sie alle Spielarten ideologischer Überzeugungen abdecken. Für viele ist das Forum eine Chance, die NGO-Szene international zu vernetzen. Das bedeutet, dass sie im Rahmen der WSF-Charta „ein offenes Haus bauen“, wie Meena Menon vom WSF es formuliert.
Viele Gruppen, die die Antwort auf Armut und soziale Widersprüche nicht in praktischer Entwicklungsarbeit, sondern im politischen Kampf erkennen, wollten im Forum konkrete Strategien verfolgen. Es sollte ein Schulterschluss gegen den amerikanischen Imperialismus in all seinen Formen werden, mit Aktionen, die den bewaffneten Kampf einschließen. Die Richtungskämpfe führten schließlich zur Trennung. 217 Organisationen, unterstützt von linksradikalen Gruppen, schlossen sich zur „Mumbai Resistance 2004“ zusammen.
Vertieft wurde der Graben durch die politisch-ideologischen Rivalitäten der indischen Politszene. Vom Organisationskomitee des WSF weiß man, dass es institutionell und personell von der KPI/Marxist unterstützt wird, die in Westbengalen seit 25 Jahren die Regierung stellt. Viele kommunistische Kader hatten damals die Partei verlassen, weil diese dem bewaffneten Bauernkrieg in Bengalen abschwor und die „Naxaliten“ zu verfolgen begann, eine maoistische Guerillabewegung. Sie fanden ihre Heimat in einer der vielen marxistisch-leninistischen Formationen, die auch mit dem bewaffneten Untergrund Verbindung haben.
Die ideologische Feindschaft und die scharfen Pfeile von jenseits der Straße haben das WSF nicht davon abgehalten, den ideologischen Gegner in seinen Open Space einzuladen. Der hat davon reichlich Gebrauch gemacht: Jeden Tag kamen MR2004-Teilnehmer mit roten Fahnen über den Western Expressway marschiert und verschafften sich in den Workshops Gehör. BERNARD IMHASLY