: Streiks und Stromausfälle
Erfreulich unkitschig erzählte Geschichte aus einem Argentinien in der ökonomischen Krise: Sandra Gugliottas Debütfilm „Un día de suerte“ („Ein Glückstag“) im 3001
von ALEXANDER DIEHL
„Glauben Sie, die Dinge werden besser?“ Ohnehin befremdlich, muss die Frage hier umso grotesker wirken. Denn die Passanten, an die sich Elsa (Valentina Bassi) wendet, das Klemmbrett unterm Arm, scheinen genug damit beschäftigt, überhaupt über die Runden zu kommen. Zwischen den Zerfallserscheinungen der argentinischen Volkswirtschaft, die ganze Lebensersparnisse über Nacht verschwinden lässt, Streiks, Barrikaden und den Stromausfällen, die inzwischen auch die besseren Viertel der Stadt erreichen, hat offenbar niemand Zeit für Optimismus. Das krisenhafte Buenos Aires der letzten drei, vier Jahre bildet den Hintergrund für Sandra Gugliottas Debütfilm Un día de suerte (Ein Glückstag). Und gelungen ist, wie das geschieht: Weder verkommen die teils verwendeten dokumentarischen Bilder zu bloß Atmosphäre stiftendem Kolorit, noch müssen die gezeigten Verhältnisse allzu plump als Erklärung für das Verhalten der Charaktere herhalten. Die nämlich wandeln merkwürdig unbeteiligt durch das Konfliktgemenge, dessen Bewältigung sie ihren Eltern zu überlassen scheinen.
Gleichwohl sind auch die Leben der Jungen geprägt von ihrer taumelnden Umwelt. Flüchtig und sprunghaft nähert sich immer wieder eine Handkamera den tragischen Helden dieser erfreulich unkitschig erzählten Geschichte: Elsa und ihre Freundin Laura (Lola Berthet) sind Mitte 20 und schlagen sich mit drittklassigen Jobs durch, führen Straßenumfragen durch oder verteilen Prospekte. Zu mehr reicht eine abgebrochene Schullaufbahn nicht, denn besser qualifizierte Arbeitswillige setzt der gebeutelte Kapitalismus ja täglich frei.
Elsas Familie steht für eine ganze Mittelklasse, deren Kinder eigentlich gute Voraussetzungen vorgefunden hätte, wären die Dinge anders gekommen. So aber wartet der Vater zu Hause am Herd auf seinen letzten Lohn, und die Mutter befasst sich zunehmend mit ihren Heiligenbildchen. Die dreht der Großvater (Darío Vittori), aus Italien eingewanderter Kommunist, regelmäßig mit dem Gesicht zur Wand.
Nach Italien will auch Elsa, nachdem sie irgendwann eine Nacht mit Candy verbracht hat. Einzig geblieben außer der Erinnerung ist sein Versprechen auf ihrem Anrufbeantworter: Ein, zwei, drei, viele Küsse und seine Adresse in Rom. Das Geld zusammenzubekommen für den Flug nach Rom ist ihr Traum, den ihr die bodenständigere Laura ausreden will.
Kein Job indes bringt genug ein, zu wenig werfen auch allerlei kleinkriminelle Aktivitäten ab. Walter (Fernán Mirás), der Elsas Herz gewinnen will, verspricht, mit dem Gewinn aus einem größeren Drogengeschäft ihre Reise zu ermöglichen. Doch der Deal platzt und Walter selbst muss eilig die Stadt verlassen – irgendwie exemplarisch für die allesamt eigentümlich machtlosen männlichen Charaktere des Films, seien es Patriarchen ohne ihre traditionell unterstellte Autorität, schmierige Bosse oder eben sympathische Loser.
Oder Phantome: Candy (eigentlich Candido) wird – es zeichnete sich von Anfang an ab – nicht die Erfüllung von Elsas Träumen, und kein Wiedersehen der Liebenden markiert den titelgebenden Glückstag. In Rom angekommen, erfährt Elsa, Candy sei nach Hause gefahren in den Süden, nach „Sizilien, Nordafrika“. Also macht sie sich auf nach Palermo und schließt damit einen familiengeschichtlichen Kreis, der zwei Generationen zuvor mit dem Weggang ihres Großvaters seinen Ausgang nahm, damals, als Argentinien selbst noch eine Projektionsfläche darstellte für hungernde Europäer.
täglich, 20.30 Uhr, 3001; bis 19. März