„Die Deutschen haben geweint“

Der Dokumentarfilm „Schlesiens wilder Westen“ von Ute Badura leistet Trauerarbeit und ist dabei zugleich privat und politisch

„Helmut“ ist offenbar in Polen ein schlimmes Schimpfwort für die Deutschen, und wenn die Kinder im niederschlesischen Dorf Kopaniec ganz mutig waren, riefen sie es den Besuchergruppen aus Deutschland hinterher, die seit Mitte der siebziger Jahre mit Bussen dort ankamen – vielleicht auch noch ein „Hitler kaputt“ dazu.

Heute ist dies der jungen Polin, die es verlegen lachend erzählt, eher peinlich, und es bleiben auch die einzigen „bösen Worte“, die im ganzen Film fallen. Das Thema ist immer noch heikel, aber die Betroffenen auf beiden Seiten, die Vertriebenen aus dem ehemaligen Seifershau und die Polen, die heute in deren einstigen Häusern wohnen und deren einstige Felder bestellen, erzählen abgeklärt, ohne jedes Ressentiment. „Die Deutschen haben geweint“, erinnert sich eine alte Polin an die Zeit, als diese aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Und eine Sequenz lang sieht man die Deutschen auch weinen in diesem Film: Regisseurin Ute Badura zeigt zuerst eine Reisegruppe, die nicht nur ihrer alten Heimat, sondern auch ihrer Jugend nachtrauern.

Badura lässt behutsam und sehr geduldig die Menschen erzählen, und das braucht seine Zeit. Der Film ist langsam, man muss sich auf seinen getragenen Rhythmus einlassen, aber dann erfährt man auch wirklich etwas von diesem Stückchen Land und seinen ehemaligen und jetzigen Bewohnern. Letztere waren immer die Verlierer, ob unter Hitler oder unter Stalin. Wohl deswegen wird nie ideologisiert, sondern es bleibt immer konkret. Ein Pole erzählt von den Ukrainern, die kurz nach dem Weltkrieg das Dorf terrorisierten und vor seinen Augen seinen Onkel erschossen. Als eine Frau in den fünfziger Jahren in ihrem offiziellen Lebenslauf schrieb, sie sei als Elfjährige mit ihrer Familie nach Sibirien deportiert worden, zwang ein Bürokrat sie, dies in „freiwillig gereist“ umzuändern.

Der Film ist voll von solchen Details, die mehr über die Zustände jener Zeit verraten als kluge Analysen. Deshalb konnte Ute Badura auch ganz auf eine Erzählstimme verzichten. Und anders als etwa Volker Koepp, der in seinem Dokumentarfilm „Kurische Nehrung“ zum einen die Landschaft mit schönen Totalen romantisiert und zum anderen seine Protagonisten als skurrile Originale inszeniert, bleibt Badura filmisch nüchtern, fast kunstlos. Der Film leistet Trauerarbeit und ist dabei zugleich privat und politisch. Man bekommt eine Ahnung davon, was „Heimat“ für diese alten Menschen bedeutet. Wilfried Hippen

Täglich um 19 Uhr im „Atlantis“. Mit „Schlesiens wilder Westen“ beginnt das „Atlantis“ eine neue Veranstaltungsreihe: Jeden Monat wird jeweils eine Woche lang ein Dokumentarfilm gezeigt: Im April wird dies der hochgelobte „Bell Aria – Solange wir leben“ sein, der von einem alten Wiener Kino und dessen pittoresker Stammkundschaft erzählt