Die Mauer führt quer durch die Köpfe

In 80 Audiominuten bringt die Stadtführung „Hear We Go“ Passanten um die ehemaligen Mauerecken – ohne uncooles Buch oder Stadtplan vor der Nase. Dafür aber mit einer historisch bedenklichen Toncollage im Ohr

Eine Städtereise kann eine unangenehme Urlaubsform sein. Vor allem, wenn man zuvor nicht eingehend die Reiseführer studiert hat, ist man der Typ, der skeptisch beäugt wird: Tourist mit Stadtplan und Merian unter dem Arm. Wie uncool. Für Berlin ist jetzt Abhilfe in Sicht, oder besser: in Hörweite. Entweder altmodisch, auf CD, oder ab Anfang April auch im MP 3-Format. Der erste Teil der Stadtführung mit Kopfhörer: „Hear We Go, Auf den Spuren der Berliner Mauer“.

„Der Städtereisende will in Aktion treten“, erklärt Moritz Gauger, Geschäftsführer des Berliner Megaeinsverlags, der den Spaziergang anbietet. Gemeinsam mit dem Stadthistoriker Carl-Peter Steinmann, der eine ähnlichen Rundgang auf Kassetten schon zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 angeboten hatte, hat er dessen Konzept überarbeitet. Laut Gauger ist das Hauptproblem für die jährlichen 3,5 Millionen deutschen Berlinbesucher: „Man wird immer nur an die Touri-Spots geführt.“ Dem will er etwas entgegensetzen.

Nun denn: Die Runde startet an dem Touri-Spot schlechthin, der verkleinerten Replik des US-Kontrollhäuschens am Checkpoint Charlie. „Hallöchen und Juten Tach“, grüßt Sprecher Jürgen Mai mit Märchenonkelstimme. Er lädt zum „Entdeckungsspazierjang in die Verjangenheit. Jenauer jesacht …“ Nach diesen ersten 20 Sekunden möchte man sich die Kopfhörer eigentlich von den Ohren reißen.

Vom Walkman hallen Schritte, denen sich der Rundgänger anpassen soll, was aber nicht sonderlich gut funktioniert. Dann beginnt die eigentliche Tour entlang der Zimmerstraße auf dem Bürgersteig, der nach ehemaligem Grenzverlauf bereits DDR war, aber dennoch auf der West-Seite lag. Der Westberliner, der hier aus dem Fenster sah hatte „den Hintern im Westen und den Kopp im Osten“, wie der O-Ton einer Anwohnerin der Zimmerstraße die Teilung vor ihrem Fenster kommentiert.

Diese Stelle offenbart eine weitere Schwäche der Audiotour. Nicht immer schafft Autor Steinmann den Wechsel zwischen launiger Kommentierung durch Zeitzeugen und historischen Fakten, die die Frontstadt-Situation angemessen beschreiben, die Menschen trennte und etliche das Leben kostete.

Am Potsdamer Platz soll der Stadtläufer die Augen schließen und sich das Jahr 1929 vorstellen. Es pfeift einem Ragtime-Musik ins Ohr, Trambahnen rattern, und wenn man die Augen wieder öffnet, ist die Enttäuschung über den heutigen Anblick groß. Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ kann einem die Desillusionierung auch nicht rauben. Und als sei das nicht genug, folgt der sieche Harald Juhnke und flötet sein auf Berlin umgedichtetes „New York, New York“.

Zwischen Potsdamer Platz und Bundesratsgebäude ist nicht viel zu sehen, also füllt „Hear We Go“ die Zeit zuerst mit einem ergreifenden Text über das Sterben von Peter Fechter, der 1962 im Todesstreifen verblutete, und anschließend mit einem DDR-Propagandaschlager vom „sauberen Berliner“ und Westberlin als „Menschenfalle der kalten Krieger am Rhein“. Es geht historisch bedenklich weiter: Ein in der CD-Hülle als exklusiv beworbener Zeitzeuge berichtet, in der Nacht auf den 4. November 1989 hätten Unter den Linden Planierraupen gestanden, die die Mauer bei einem Durchbruch von Osten aus hätten niederreißen sollen. Das stünde zwar nirgends geschrieben, „dass es den Tatsachen entspricht, kann man mir aber glauben“, sagt der ehemalige Magdeburger Planungsoffizier ohne Namen.

Nach 80-minütigem „Wir bleiben erst mal stehen“ und „Wir gehen einfach weiter“ biegt der Tourist wieder in die Friedrichstraße. „Freude, schöner Götterfunken“ untermalt Zitate glücklicher Mauerüberwinder aus der Nacht des 9. November 1989. „Vor uns sehn wa jetzt wieder …“ Genau. Das kleine weiße Holzhaus umringt von Touristen. Macht aber nichts, der getarnte Besucher kann den Anschein des ortskundigen Walkman-Hörers leicht aufrechterhalten. Solange er nicht Steinmanns letzte Weisung befolgt: „Besuchen Sie das Mauermuseum am Checkpoint Charlie.“ CHRISTOPH TITZ

Infos: www.hearwego.de