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Archiv-Artikel

Wider die Bewahrer

SPD-Landesvize Annette Fugmann-Heesing fordert von ihrer Partei den Abschied von ineffektiven Strukturen. Beim Parteitag im Mai sollen sich die Sozialdemokraten zu mehr Privatisierung bekennen

Interview STEFAN ALBERTI

taz: Frau Fugmann-Heesing, als „linke Volkspartei“ hat sich die SPD noch 1995 beim Parteitag definiert. Heute taucht der Begriff „links“ im acht Seiten langen, von Ihnen federführend formulierten Leitantrag für den Landesparteitag am 17. Mai gar nicht mehr auf. Wieso nicht?

Annette Fugmann-Heesing: Man muss das Selbstverständliche nicht dauernd wiederholen. Die SPD will die Gesellschaft voranbringen, die Stadt braucht neue, nachhaltige Strukturen und Rahmenbedingungen, um der Schuldenfalle zu entkommen. In der Stadt muss wieder wirtschaftliches Wachstum möglich sein.

Ein Leitantrag ist aber doch kein Regierungsprogramm, sondern beschreibt auch die Partei selbst. Was ist denn für Sie heute noch „links“?

Die Zeiten des Klassenkampfes sind genauso vorbei wie die der damaligen Begriffe. Wir formulieren eine Politik für die Mitte der Bevölkerung. Wir sind in Berlin Regierungspartei, wir haben die Aufgabe, für breite Schichten eine Perspektive zu entwickeln, die glaubwürdig und verlässlich ist. Und das heißt auch, dass wir das in einer gesellschaftlichen Verantwortung – also solidarisch – tun.

Solidarisch, das ist auch so ein alter SPD-Kernbegriff. Habe ich den im Leitantrag bloß überlesen?

Ja, der steht auf Seite 3. Auf unserem bildungspolitischen Parteitag haben wir uns mit der Chancengleichheit auseinander gesetzt, und das ergänzen wir jetzt um die Frage: Wie stellen wir uns die künftige Aufgabenentwicklung durch den Staat vor? Wenn der Staat nicht mehr alles leisten kann, was muss er dann für eine solidarische Gesellschaft gewährleisten? Das ist der heutige Ansatz.

Um da gleich einzuhaken: Statt „links“ und neben dem einem Mal „solidarisch“ steht im Leitantrag viel von „Staatsquote zu hoch“, „staatliche Bevormundung“, „rechtliche Überregulierung“. Damit würden Sie auch bei der FDP eine Mehrheit bekommen. Was ist daran noch SPD-typisch?

Die FDP interessiert mich nicht. Wir verteufeln nicht den Staat, wir wollen Chancengleichheit, Freiheit für individuelle Entwicklung und Solidarität. Dafür brauchen wir staatliche Handlungsfähigkeit. Wir leben heute in einer Situation, in der die Bewahrer überkommener, ineffektiver Strukturen sich als die Vernichter dessen erweisen, was wir als Sozialdemokraten anstreben. Der staatliche Berliner Wohnungsbau frisst beispielsweise das Geld auf, das wir in der Schule benötigen.

Nicht nur FDP-Wortwahl findet sich im Leitantrag, auch CDU-Chef Stölzl könnte man daraus lesen: Der Staat soll fördern und fordern.

Na und? Das ist aber auch schon Original-Ton in unserem bildungspolitischen Leitantrag gewesen. Und auch O-Ton unseres Bundeskanzlers.

Wenn man die Linkseinordnung nicht mehr haben will, wenn sich die SPD verändert hat, warum dann nicht ehrlicherweise auch ein neues Etikett, wie New Labour in Großbritannien?

Wir müssen unsere Partei nicht neu beschreiben. Das Anliegen der Sozialdemokratie ist immer gewesen, Strukturen zu schaffen, die Chancengleichheit eröffnen. Willy Brandt hat gesagt, dass jede Zeit eigene Antworten will. Genau das findet sich hier wieder.

Ich würde es Ihnen aber nicht abnehmen, dass Sie nicht regelmäßig Parteimitglieder treffen, die sagen: „Das ist nicht mehr meine SPD.“

Im Gegenteil. Viele sind froh, dass in Berlin der Mehltau endlich abgestreift wird. Es gibt allerdings auch in der SPD, übrigens in Berlin auch in anderen Parteien, viele Verfechter der Meinung, nur das sei gut, was der Staat selbst macht. Das ist aber Realitätsverweigerung.

Haben Sie gegen diese Leute eine Mehrheit?

Die SPD ist immer für Überraschungen gut. Ernsthaft: Es wird sicherlich Ergänzungs- und Änderungsanträge geben, aber auch eine Mehrheit nach intensiver Debatte. Ob die knapp oder satt sein wird, kann ich jetzt nicht abschätzen. Natürlich werden sich viele mit dem, was hier politisch formuliert ist, nicht leicht tun.

Wo sehen Sie denn die Berliner SPD mit diesem Leitantrag im Verhältnis zur Bundespartei? Voraus, auf gleicher Höhe, hinterher?

Ich denke, dass wir uns damit durchaus im vorderen Drittel dessen bewegen, was es an Diskussionslagen gibt. Das ist ja eine Debatte, die derzeit bundesweit und auch auf europäischer Ebene stark geführt wird.

Greifen wir mal einen Punkt heraus. „Städtisches Wohneigentum in diesem Umfang brauchen wir nicht mehr“, heißt es in dem Antrag. Ihr eigener Parteichef Strieder aber war es doch, der im Senat den Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW noch abbog. Wie passt das zusammen?

Das Argument für die Nichtveräußerung war ja das zu niedrige Angebot, nicht, dass wir diese Wohnungen in städtischem Eigentum brauchen. Nur weil man sich dafür entschieden hat, dass das Land Berlin so viele Wohnungen nicht mehr braucht, müssen nicht alle sofort auf den Markt. Jede Privatisierung ist auch eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Und derzeit haben wir keinen Verkäufermarkt.

Eine Belebung des Markts ist aber auch nicht in Sicht.

Das stimmt. Ich bin nicht Mitglied des Senats, ich habe nicht entschieden, aber man hätte die Frage einbeziehen sollen, welche Belastungen durch die hoch verschuldete GSW noch auf uns zukommen.

Sie propagierten in den 90ern als Erste einen Sparkurs. Bereits 1996 haben Sie als Finanzsenatorin Einschränkungen bei der Lernmittelfreiheit vorgeschlagen und über Studiengebühren nachgedacht, ohne dafür eine Mehrheit zu bekommen. Heute ist das Erste beschlossen, das Zweite in der Diskussion. Für Sie eine späte Befriedigung?

Es ist ein Beweis dafür, dass ein gesellschaftlicher Modernisierungsprozess gerade in einer Stadt, die von einem ganz anderen Staatsverständnis geprägt war, nicht von heute auf morgen durchzusetzen ist. Es bedarf eines Aufbruchs – ich habe das schon damals Mentalitätswechsel genannt – und einer politischen Diskussion. Und dann ist es nicht entscheidend, ob es vier oder fünf Jahre dauert.

Genau sind es schon sieben Jahre. Würden Sie der Aussage widersprechen, dass Ihre Partei jetzt dort angekommen ist, wo Sie damals schon waren?

Natürlich war die Diskussion in vielen Kommunen und Ländern anders entwickelt, weil es dort eine andere Ausgangslage gab. Insofern hatte ich, weil ich aus Hessen und Nordrhein-Westfalen kam, einen anderen Hintergrund als die, die hier die geteilte Stadt erlebt hatten und nach der Wiedervereinigung in der Verantwortung standen, die Strukturen auf eine geeinte Stadt auszurichten.