Angst vor der Klatsche

Bayer Leverkusen zeigt im Pokalhalbfinale gegen Bayern München, dass es immer noch völligvon der Rolle ist, und gibt sich mit dem 1:3 und dem damit verbundenen Aus glücklich zufrieden

aus München THOMAS BECKER

Jens Niering war einer von vielen. Einer, der sich nicht abhob von der Masse, seinen Job machte wie alle anderen auch. Bis zu jenem Mittwochabend, als ihm dieser Sonntagsschuss gelang. Es war das Spiel der Münchner Bayern gegen Leverkusen, DFB-Pokal-Halbfinale, drei eins, nichts Besonderes. Bis auf den Auftritt von Niering: Er geht ran, spürt, dass es gleich passieren wird, stellt scharf, drückt ab und – trifft. Prima Timing, ein Instinktfotograf, dieser Niering. Sperrangelweit gähnt ihm Bayern-Manager Uli Hoeneß ins Objektiv, die priesterlich gefalteten Hände im Schoß, die Beine lang gestreckt und übereinander geschlagen – man möchte ihn einfach ins Bett schicken: „Geh halt schlafen, wenn du müde bist, Uli. Du verpasst ja nix hier.“

Aber Hoeneß ist ein harter Hund, der schon ganz andere Sachen überstanden hat als diesen von der Abendzeitung schon vorab als „Geisterspiel“ gegeißelten Exknüller, der potenzielles Pokalkribbeln als Sodbrennen entlarvte. 16.000 wollten sehen, wie sich die Bayern für das Finale warm spielten – in der ewigen Bestenliste der Pokalpartien der beiden Teams ein Mittelplatz: 1985 waren es 12.000, 1997 dann 17.000. Dass der FCB immer gewann, versteht sich von selbst. Überhaupt dringt die Erfolgsbilanz des FC Bayern im DFB-Pokal, die am 1.September 1935 mit einem 4:5 gegen den FV Ulm begann, nie so recht ins Bewusstsein angesichts all der anderen Münchner Geschichten. Also: zehnmal den Pott geholt, zu Hause ungeschlagen seit 1991 (2:4 gegen Homburg!), 122 Siege in 168 Partien, pro Spiel knapp 2,9 Tore geschossen – ein Normspiel, dieses 3:1 gegen Leverkusen: ein Ausgerechnet-Tor vom Ex-Leverkusener Ballack, ein Überraschungstreffer von Ramelow und zweimal Elber innerhalb einer Minute. Schiedsrichter Steinborn wollte am Ende keinen Moment länger stören und pfiff auf die Sekunde pünktlich ab. Es hat sich niemand beschwert.

Am meisten gefreut haben sich die Verlierer. Wer sich nach der für lange Zeit wohl letzten Chance auf Teilnahme am internationalen Wettbewerb bei Bayer umhörte, dem klingelten die Ohren. Manager Calmund: „Ich fand das gut, dass die nach dem 3:1 nicht auf 3:2 gespielt haben. Weil mit einem 5:1 läufst du hier am Samstag ganz anders auf.“ Klatschen-Angst, das 0:8 von Köln hat sich rumgesprochen. Jung-Nationalspieler Balitsch hat die neue Bayer-Philosophie vom Bloß-nicht-so-hoch-verlieren schon verinnerlicht und konnte die Wir-fahrn-nicht-nach-Berlin-Phobie fast erklären: „8:0 – diese Blöße wollten wir uns nicht geben.“ Lieber schön auf Halten spielen, 1:3 geht ja noch.

Auch was der neue Trainer sagt, klingt schlimm: „Ja, und am Samstag müssen wir schon den Blick auf Barcelona richten.“ Heißt das: Die Besseren von den vielen Schlechten im Abstiegskampf schonen für die Champions League? Damit es in Barcelona nicht ganz so schlimm wird? Geht’s dort um irgendwas, Herr Hörster? „Ich weiß noch nicht, wie ich mit diesem 1:3 umgehen muss. Ich muss mich erst mal sammeln. Morgen mehr.“ Das personifizierte Achselzucken, ein Bild des Jammers.

Das war selbst Uli Hoeneß vor seiner Tiefschlafphase aufgefallen: „Der neue Trainer scheint sein Heil in der Defensive zu suchen. Schwierig zu verstehen, dass Bayer mit elf Mann in der eigenen Hälfte steht. Das ist für die Zuschauer natürlich nicht so lustig und weniger spektakulär, als es sein könnte.“ Aber für die Abteilung Zirkus gibt’s ja Giovane Elber: Rücken zum Tor, Ball von der Fußspitze hochspringen lassen, quer in die Luft legen und mit Schwung im Netz ablegen – 2:1, ein Copacabana-Tor. Sekunden später noch ein routinierter Konter und der kommende Double-Gewinner konnte wieder zum Aufbauspiel für die Rekonvaleszenten Deisler und Santa Cruz übergehen.

Die weiteren Aussichten: Hoeneß droht „die Verletzten kommen zurück“, will sagen: Nach der Partie am Samstag werden Bayern und Bayer noch mehr als 27 Punkte trennen, werden sich die Münchner vor allem damit beschäftigen, „Nachlässigkeiten zu unterbinden“, so Hoeneß. „Wir könnten sehr zufrieden sein, wenn wir die kleinen Nebensächlichkeiten nicht hätten.“ Er grinst bei diesem Satz, aber es ist ihm ernst: Die Kirch-Affäre und die täglich schmutziger werdende Schlammschlacht um den Luder-Kahn („Ich werde auf eine Stufe gestellt mit Mördern und Vergewaltigern“) haben für ihn in der Tat Scharmützel-Charakter. Er will sich seinen möglichen Thronfolger auf dem Managerposten nicht demontieren lassen, hat schon TV-Teams vom Trainingsgelände verjagt. „Ich weiß, was die vorhaben. Aber wir werden dazwischen hauen.“ Zeit zum Ausruhen ist ja dann wieder, wenn die Leverkusens dieser Welt zum Kicken kommen.