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Archiv-Artikel

„Entweder wir haben Erfolg, oder es gibt eine Katastrophe“, sagt Salah Abdel Shafi

Über die Schwierigkeiten, die palästinensische Gesellschaft von der Genfer Friedensinitiative für Nahost zu überzeugen

taz: Am 1. Dezember wurde die israelisch-palästinensische Genfer Friedensinitiative vorgestellt. Heute treffen wir uns in Berlin, demnächst werden Sie in anderen europäischen Hauptstädten für Ihre Initiative werben. Ist die internationale Öffentlichkeit wichtiger als die palästinensische?

Salah Abdel Shafi: Auf keinen Fall. Die Kampagne soll sich auf die palästinensischen Gebiete konzentrieren. Dort werden wir versuchen, die Menschen zu überzeugen, dass diese Initiative eine Alternative ist. Die internationale Unterstützung ist als Ergänzung sehr wichtig. Es geht nicht um international oder lokal – die Frage ist: Wie ergänzt man die lokale Kampagne durch internationale Unterstützung. Denn momentan haben die Menschen die Hoffnung verloren. Sogar jene, die diese Initiative positiv finden, sagen: Ihr seid Träumer. Wie wollt ihr euren Plan denn durchsetzen? Doch wenn die Menschen merken, dass die internationale Gemeinschaft dahinter steht, besteht die Möglichkeit, dass diese Initiative irgendwann verwirklicht werden kann.

Wie wollen Sie die Skepsis der palästinensischen Gesellschaft überwinden?

Mit einer Kampagne, die Medienarbeit, öffentliche Veranstaltungen, Diskussionen und Kontakte mit politischen Parteien beinhaltet. Wir sehen das als Prozess. Deswegen wurden in Gaza und im Westjordanland Büros für die Kampagne eingerichtet. Ich glaube, wir haben es in der kurzen Zeit geschafft, den politischen Diskurs in Palästina stark zu beeinflussen.

Sie glauben wirklich, dass die Genfer Initiative in Palästina mehrheitsfähig werden kann?

Keine Euphorie. Die Menschen sind sehr frustriert. Sie sehen, dass die israelische Regierung Tatsachen schafft – speziell die Mauer, die gerade im Westjordanland errichtet wird. Die Menschen haben Schwierigkeiten, eine Friedensinitiative zu verdauen, wenn sie tagtäglich sehen, dass die Israelis Landraub betreiben, weiter Siedlungen und die Mauer bauen. Wie sollen die Palästinenser dann an Frieden glauben? Deswegen sagen wir, die Initiative repräsentiert ein Modell, eine Alternative. Um sie zu verwirklichen, brauchen wir eine Veränderung in Israel. Wir hoffen, dass die Initiative der israelischen Linken nutzt – und bei den nächsten Wahlen die Scharon-Regierung zu Fall gebracht wird.

Werden Sie von der palästinensischen Regierung und von Arafat unterstützt oder eher behindert?

Nein, behindert auf keinen Fall. Präsident Arafat hat bei mehreren Anlässen klar und deutlich gesagt, dass er diese Initiative begrüßt. Er hat zu der Zeremonie in Genf einen persönlichen Berater mit einem Grußwort geschickt.

Gibt es Personen, die einen Kompromiss mit Israel ablehnen und die Initiatoren der Genfer Initiative als Verräter bezeichnen?

Ja, das gibt es auch. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Sache reibungslos läuft, nein, es gibt viel Kritik. Wir behaupten nicht, dass es sich um ein perfektes Dokument handelt. Es ist ein Kompromiss. Man kann nicht alles haben. Kritik ist berechtigt, aber sie soll sachlich bleiben.

Sehen Sie eine Möglichkeit, Selbstmordattentäter davon zu überzeugen, dass ihr Weg der falsche ist?

Allein durch die Initiative werden wir das nicht erreichen. Ihr Erfolg hängt von der Bereitschaft der israelischen Regierung ab, die Aggressionen zu beenden. Nur dann hat die Initiative eine Chance.

Sie meinen, dass der Rückzug der israelischen Armee eine Bedingung ist, damit die Initiative in Palästina mehrheitsfähig wird?

Das würde sehr helfen und den Menschen Hoffnung geben.

Der Bau der Mauer schafft derzeit Fakten. Ist das ein Motiv für die Genfer Initiative – die Einschätzung, dass der Zug abgefahren ist, wenn es jetzt nicht rasch zu einer Zweistaatenlösung kommt? Wäre die Alternative dann ein gemeinsamer binationaler Staat?

Nicht ein binationaler Staat, ein Apartheidstaat. Das ist die Alternative. Entweder Genf, das auf der Zweistaatenlösung basiert, oder der Mauerbau, die Schaffung von Enklaven für die Palästinenser. Dadurch wird die Entstehung eines unabhängigen palästinensischen Staats zunichte gemacht. Darum haben wir keine Zeit zu verlieren. Das versuchen wir überall in der Welt zu sagen: Wir brauchen dringend internationale Unterstützung, weil die Alternative eine Katastrophe ist.

Glauben Sie, dass eine „Privatisierung“ des Friedensprozesses erfolgreicher ist als der offizielle Weg auf Regierungsebene?

Privat wird immer privat bleiben. Wir hoffen, dass die Politiker unser Modell übernehmen. Aber wir behaupten nicht, dass das Regierungsverhandlungen ersetzt. Irgendwann müssen sich die offiziellen Parteien an den Verhandlungstisch setzen und ein Abkommen aushandeln.

INTERVIEW: BEATE SEEL