: Neofolk nach rechts vereindeutigt
betr.: „Trommelschläge aus der Gruft“, taz vom 3. 3. 03
Eines der beiden von Andreas Hartmann besprochenen Bücher über „rechte“ Tendenzen im musikalischen Untergrund, „Ästhetische Mobilmachung“, kann nicht oft genug kritisch kommentiert werden. Daher ist zu begrüßen, dass Hartmann den Autoren dieser Essaysammlung nicht pauschal Recht gibt.
Es stimmt, dass „Ästhetische Mobilmachung“ das erste Buch zum Thema Darkwave/Neofolk/Industrial und der vermuteten „rechten Unterwanderung“ dieser Subkulturen ist. Dieses Informationsdefizit nutzen einige der Autoren aus, um subjektive Einschätzungen, Suggestionen und Halbwahrheiten an den Mann und die Frau zu bringen. Unbeachtet lassen sie, dass die weltweit tausenden Rezipienten der Kunst von Death In June und vielen anderen Bands mündig, aufgeschlossen und keineswegs von einheitlichem Format sind. Die Ambivalenzen in einigen Werken werden nach rechts vereindeutigt. So werden die öffentlichen Stellungnahmen der Musiker, in denen sie sich unmissverständlich von den unterstellten rechtsextremen Positionen distanzieren, verschwiegen oder als unwahr ad acta gelegt. Auch die Vielfalt der künstlerischen Einflüsse wird grotesk verdreht; den Autoren von „Ä. M.“ ist es bereits suspekt, wenn Künstler wie Jean Genet, André Gide und Arnold Böcklin zitiert werden.
Was sie weiterhin verschweigen: Gerade der Neofolk-Bereich steht, besonders in deutschen Landen, inzwischen mit dem Rücken zur Wand. Konzerte fallen reihenweise aus aufgrund des Antifa-Alarmismus; DJs dürfen nicht mehr spielen, was bis vor wenigen Jahren gang und gäbe in Wave-Gothic-Discos war; Schlägertrupps lauern harmlosen Neofolk-Konzertbesuchern auf, wie letztes Jahr im Rahmen des Leipziger Wave-Gotik-Treffens.
An zwei erwähnenswerten Stellen muss Hartmann allerdings korrigiert werden. Moynihan, Autor des Buches „Lords of Chaos“ und Kopf des Projektes Blood Axis (der Name hat nichts mit den Achsenmächten zu tun), verlegt keine faschistische Lektüre (für dieses Jahr hat er ein Buch des Surrealisten Hans Bellmer geplant), und er ist auch kein Holocaustleugner. Weiterhin ist die Bemerkung über die „rechte[n] Goths, die im Dunkeln und bei Kerzenschein Klassiker der Rassentheorie“ lesen, nichts als ein abstraktes Zerrbild. DIETER GERTEN, Berlin
Michael Moynihan leugnet den Holocaust nicht, sondern relativiert ihn. Moynihans Meinung (die ich keineswegs teile) ist, dass die Jahre des 3. Reichs im Vergleich zur gesamten Geschichte der Welt und der Menschheit relativ bedeutungslos seien. Auch wird gern unterschlagen, dass Death In June als linkes Projekt gegründet worden ist und erst mit der Zeit immer mehr nach rechts rückte. Erwähnenswert wäre auch, dass Mitglieder der „rechten“ Band Kirlian Camera aufgrund ihrer Verstrickung in die linksextreme Szene vom italienischen Verfassungsschutz überwacht werden. MICHA WISCHNIEWSKI, Marburg