: Pisa-Reform föderal blockiert
Alle fordern Ganztagsschulen, auch die Bildungsminister. Doch eine Einigung gibt’s nicht, weil die Länder zwar Geld vom Bund wollen, aber keine Einmischung
BERLIN taz ■ Der Informant äußert sich nur anonym. Die Aussagen werden genau abgewogen – denn die Identität des/der AuskunftgeberIn darf auf keinen Fall erkennbar sein. Thema ist nicht etwa Geldwäsche oder Bestechung. Es geht, ganz simpel, um Bildungspolitik. Und um den Ausnahmezustand, der seit der Pisa-Studie im Dezember 2001 herrscht.
„Seit einem Jahr geht nichts vor und zurück“, sagt die Person, die ein/e renommierte/r Forscher/in in der empirischen Erziehungswissenschaft ist. Sie hat an jener Pisa-Studie mitgearbeitet, welche die Kultusminister gestern Abend offiziell vorstellten. Die zentralen Forderungen nach Pisa seien unumstritten: vermehrte Bereitstellung von Ganztagsschulen sowie nationale Bildungsstandards. Die Wissenschaft sei sich einig, Lehrer und Eltern seien dafür. Sogar Gewerkschaften und Wirtschaft haben gestern für Ganztagsschulen appelliert – gemeinsam. Trotzdem herrscht Streit.
Die unionsregierten Länder „sind auf Krawall gebürstet“, sagt der Informant. Man habe gehofft, dass es nach der Bundestagswahl besser werde. Aber weit gefehlt. Es steht gar zu befürchten, dass beim heutigen Treffen zwischen Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) und ihren Länderkollegen keine Einigung zu erzielen ist. Da unterbreitet Bulmahn formell ihr Angebot, vier Milliarden Euro für Ganztagsschulen bereitzustellen. Die Länder wollen das Geld – und zetern doch über die Einmischung des Bundes. Ihr paradoxes Argument lautet: Berlin soll gefälligst nicht nur Bauvorhaben für Ganztagsschulen zahlen, sondern auch Personal. Das aber geht gerade nicht, weil das Grundgesetz es verbietet – wegen der Kulturhoheit der Länder.
Der Streit ist grotesk. Die Vizepräsidentin der Kultusminister, Dagmar Schipanski (CDU), sagt der taz, dass sie den Vorsprung der östlichen Bundesländer bei der Ganztagsbetreuung „ausbauen will“. Berlins Schulsenator Klaus Böger (SPD) ist geradezu glücklich. „Wenn andere Länder das Geld nicht wollen“, hofft der Mann aus dem Pleiteland Berlin, „dann kriegen wir vielleicht sogar mehr.“ Selbst Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) will, dass Bayern bei Ganztagsangeboten zur deutschen Spitze aufschließt. Trotzdem verschickt sie zusammen mit Hessens Kultusministerchefin Karin Wolff (CDU) giftige Erklärungen gegen den Bund.
Eva-Maria Stange, die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, hat die Pisa-Reaktionen der Länder untersuchen lassen. Ergebnis: Kein Land hat konsequent auf die Erkenntnisse der Studie reagiert. Es gebe nur zwei Themen, „die nicht spurlos an den Bildungsstätten vorübergehen würden“ – Ganztagsschulen und Bildungsstandards. Aber: „Die Bildungspolitik ist so politisiert, dass selbst diese Reform verzögert wird.“
CHRISTIAN FÜLLER