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Archiv-Artikel

In einer genormten Welt

Rebecca Maskos hat „Glasknochen“. Sie muss „einfach ein bisschen vorsichtiger sein als andere“

Die Fenster in ihrer Küche kann Rebecca Maskos nur mit einem Schalter öffnen. Mit nur einem knappen Meter Körperhöhe ist sie zu klein, um an sie heranzukommen. Aber auch ihre Mitbewohner müssten zum Fensterputzen eine Leiter nehmen, weil die beiden Dachfenster in die Decke eingelassen sind – vier Meter über dem Boden.

Ein Porträt von Rebecca Maskos ist auch eins von ihrer Umwelt. In diesem Bild sind nicht die Menschen zu klein, sondern die Fenster zu hoch. Es ist nicht ihr Problem, dass sie mit ihrem Rollstuhl nicht ohne fremde Hilfe in die Schauburg hineinkommt. Es könnte in dem Viertel-Kino auch einen Lift geben.

„Ich frage auch fremde Leute, ob sie mich rauftragen können“, sagt die 28-jährige Psychologiestudentin. Gerne macht sie das nicht. Außerdem hat sie immer ein wenig Angst, dass jemand stolpert und sie fallen lässt. Die Gefahr, dass ihr dabei ein oder mehrere Knochen brechen, ist bei ihr ungleich höher als bei den meisten anderen Menschen. „Glasknochen“ heißt diese Behinderung.

In Filmen wie zuletzt in „Die fabelhafte Welt der Amélie“ leben Menschen mit Glasknochen in gepolsterten Räumen oder fahren in gepolsterten Autos. Über diese Vorstellungen lacht Rebecca Maskos: „Totaler Quatsch.“ Als Kind brachen ihre Knochen zwei- bis viermal im Jahr, jetzt hatte sie seit acht Jahren keinen Bruch mehr. „Erst im Alter nimmt die Brüchigkeit wieder zu“, sagt Rebecca Maskos. „Ich muss einfach vorsichtiger sein als andere, dann geht es.“

So hat sie den Bremer Karneval lieber vom Fenster aus beobachtet, als sich ins Gedränge zu wagen. Trotzdem geht sie in Clubs und auf Konzerte. Auch sonst unterscheidet sich ihr Alltag nicht groß von dem anderer Studierender, findet sie. Sie hat im Studiwohnheim in einer Achter-WG gelebt, Praktika bei Zeitungen und in psychosozialen Einrichtungen gemacht und war zwischendurch ein Jahr als Gasthörerin in Berlin eingeschrieben. Ein Fulbright-Stipendium hat ihr ein einjähriges Studium in Chicago ermöglicht. „Da war ich noch ein bisschen blauäugig“, erzählt sie. Früher habe sie die USA für ein „Paradies für Behinderte“ gehalten. Das sei aber vor allem eine Frage des Geldes. „In den ärmeren Gegenden sieht es auch nicht besser aus als hier.“ Gut, dass sie ihr Auto mitgenommen hatte. Sie kann ohne Hilfe ein- und aussteigen – für sie ein Stück Unabhängigkeit. „Früher musste mich immer jemand fahren.“ Jetzt fährt sie ihre Freunde. „Ich weiß aber nicht, was passiert wäre, wenn es kaputt gegangen wäre – in den USA gibt es keine Renault-Händler“.

Also alles ganz normale Probleme? „Naja, die Umwelt ist halt nicht für Menschen wie mich eingerichtet, die aus der Norm herausfallen – also bin ich gezwungen, mehr dafür zu tun, um dabei sein zu können.“ Das hieße aber nicht, dass sie etwas Besonderes sei oder gar heldenhaft. „Viele denken, dass so eine Behinderung ein Leiden ist und man ganz viel Kraft braucht, um damit leben zu können.“ Wieder eine Annahme, die mit Rebecca Maskos nicht mehr viel zu tun hat, sondern mehr über die erzählt, die so denken. Eiken Bruhn