: Die Rückkehr der Stromsperren
Die kubanische Wirtschaft wächst im neunten Jahr. Der Lebensstandard nicht
HAVANNA taz ■ Deborah Azcuy Carillo wohnt direkt neben dem Hotel Riviera in Havanna. Deshalb muss sie sich keine Gedanken darüber machen, wie sie ihre Nahrungsmittel lagert, wenn der Strom abgestellt wird. Einige Straßenzüge weiter studiert María Hernández die Sonntagsausgabe von La Tribuna. Dort werden die Stromsperren für die kommende Woche angekündigt.
Erdöl ist wieder knapp in Kuba. Der Preisanstieg für Rohöl hat ein tiefes Loch in den Haushalt gerissen. Das taxiert Wirtschaftsminister José Luis Rodríguez in seinem letzten Rechenschaftsbericht auf über eine Milliarde US-Dollar Mehrausgaben. Dabei war dieser sonst durchaus positiv: Angesichts des Verfalls in Argentinien, Uruguay oder Venezuela liege Kuba mit 1,1 Prozent Wirtschaftswachstum relativ gut, so Rodríguez. Zwischen 1994 und 2001 sei die Wirtschaft um durchschnittlich 4,1 Prozent gewachsen, mehr als in jedem anderen Land der Region.
Kaum ein Land der Region hat jedoch auch eine derartige Talfahrt durchlebt wie Kuba Anfang der Neunzigerjahre. Um rund 35 Prozent war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 1989 und 1993 zurückgegangen, das Niveau von 1989 ist immer noch nicht wieder erreicht.
Auch heute mindern gleich mehrere Faktoren die Deviseneinnahmen. Die Zahlungsmoral ist miserabel, erste Repräsentanzen sind geschlossen worden. Darunter auch die des deutschen Babynahrungherstellers Hipp. Immer öfter pochen Kubas Lieferanten auf Barzahlung. Misslich für die Einkäufer, denn dem Motor der kubanischen Wirtschaft, dem Tourismus, ist der Dampf ausgegangen. Fünf Prozent weniger Touristen als im Vorjahr sorgen für rund 150 Millionen Dollar Mindereinnahmen.
Auch aus dem Tabaksektor, immerhin fünftwichtigster Devisenbringer, war wenig Positives zu vermelden. Die Hurrikane Isidore und Lily haben zu bis zu 50-prozentigen Ernteeinbrüchen geführt. Der Gesamtschaden soll sich auf mindestens 200 Millionen US-Dollar belaufen.
Diese Löcher kann die Regierung so wenig stopfen wie die Einnahmeausfälle im Zuckersektor. Dort konnte die Ernte zwar leicht gesteigert werden, aber angesichts des niedrigen Zuckerpreises auf dem Weltmarkt ist kein Gewinn zu erwarten. Einzig der Nickelpreis hat sich gegenüber dem Vorjahr erholt, sodass die Branche einen Dollar-Zuwachs erwirtschaftet hat.
Auch die Familientransfers sind zurückgegangen. Die Verwandten aus Miami und anderswo überweisen ihren Angehörigen auf der Insel längst nicht mehr so viele US-Dollar wie vor dem 11. September. Um 25 bis 40 Prozent sind die so genannten Remesas schätzungsweise zurückgegangen, das entspricht Deviseneinbußen von 250 bis 400 Millionen US-Dollar. Auch die Kündigung des russischen Horchpostens in Lourdes Ende 2001 schlägt sich negativ nieder. 200 Millionen Dollar war der russischen Regierung die Nutzung der Anlage noch 2001 wert.
Insgesamt hat die Regierung Castro Einnahmeausfälle von nahezu einer Milliarde US-Dollar zu verkraften. Zu viel angesichts der parallel gestiegenen Erdölausgaben, weshalb die Preise in den Dollarshops um rund 30 Prozent angehoben wurden. Die Preiserhöhungen sollen die Regierung vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit bewahren und wirken sich für große Teile der Bevölkerung drastisch aus. Lebensmittel, die es auf dem Pesomarkt nicht gibt, werden nämlich in den Dollarshops angeboten. Ähnlich wie die Stromsperren trifft die Preispolitik also nahezu die gesamte Bevölkerung. Und angesichts leerer Kassen und knapper Ölvorräte könnten Stromsperren und Lebensmittelmangel bald wieder zum Alltag gehören. KNUT HENKEL