: Die Achsen der Apparatur
Projektion und Performance: Mit der Ausstellung „X-Screen. Filmische Installationen der Sechziger- und Siebzigerjahre“ schreibt das Wiener Museum Moderner Kunst (Mumok) Filmgeschichte
VON BERT REBHANDL
Ein Quasi-Cinema das brasilianischen Künstlers Hélio Oiticica sieht so aus: Quer durch den Raum sind bunte Hängematten gespannt. An die Decke wird ein Plattencover von Jimi Hendrix mehrfach (dia-)projiziert, dazu ist die Musik von dem Album „War Heroes“ zu hören. Wer nun tatsächlich „ins Kino gehen“ will, ist dazu angehalten, es sich in einer der Hängematten bequem zu machen. Jetzt müsste eigentlich die berühmte Campari-Werbung kommen. Aber es braucht keinen Film, denn die Installation „CC5 Hendrix-War“ aus der Serie „Block Experiments in Cosmococa – Program in Progress“ verhandelt den ganz konkreten Raum des Kinos. Er wird umgebaut, bis er nicht mehr wiederzuerkennen ist.
Im Wiener Museum Moderner Kunst (Mumok) ist diese Arbeit – sie entstand 1973 in New York in Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Neville D'Almeida – nun nachgebaut worden, im Rahmen einer Ausstellung mit dem Titel „X-Screen. Filmische Installationen und Aktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre“. Matthias Michalka, im Mumok der Hauskurator für neue Medien, hat eine Grundlagenschau zusammengestellt. Sie versammelt, was in der neueren Beschäftigung der Kunst mit dem Kino wieder auseinander gefallen ist: Auf dem Höhepunkt der späten Moderne galt das Hauptinteresse dem Apparat des Kinematografischen, und die Mythologie der „moving images“ war nicht vorwiegend ikonisch (oder „dokumentarisch“) bestimmt, sondern zuerst einmal technisch. Auch die Rezeption wurde nicht sofort psychoanalysiert in der Tradition von Freud, sondern in Kategorien der Wahrnehmungsphysiologie und der experimentellen Psychologie untersucht.
Nicht wenige der Arbeiten in „X-Screen“ funktionieren deswegen wie Versuchsanordnungen. Eine oft beschriebene, jedoch selten zu sehende Installation wie „Line Describing a Cone“ (1973) von Anthony McCall entdeckt mit einem simplen Manöver die dunkle Materie des Projektionsraums: Eine Nebelmaschine macht den Lichtstrahl in seiner besonderen konischen Form sichtbar. Die Besucher können durch ihn hindurchschreiten. Auf der Leinwand ist ein Bild zu sehen, auf dem sich eine kreisförmige Linie langsam schließt und so dem Licht eine fiktive Grenze im Raum setzt. Die physischen Voraussetzungen des Kinos werden in diesem halbstündigen Film „rekonstruiert“ und in eine Ingenieursleistung überführt. Die Aura des Laufbilds entsteht gerade aus seiner Technizität, das gilt selbst für das lakonische Zeichentrickbild von McCall.
McCalls Landsmann Malcolm LeGrice beschäftigte sich 1970 in der Doppelprojektion „Berlin Horse“ eingehender mit den Bildpotenzen. Er verwendete zwei Filmfragmente – eine Szene mit einem Pferd, das im Kreis läuft, aufgenommen in einem Dorf namens Berlin, und einige Kader aus „Burning Stable“ einer Wochenschau des Filmpioniers Cecil Hepworth. Aus deren beiden unterschiedlichen Formaten – 8 mm und 16 mm – entwickelt er eine faszinierende Struktur vielfacher Überlagerungen. Die chemischen Grundlagen des Bildes werden metaphorisiert, zugleich sind die Anspielungen auf den Präkinematografen Eadweard Muybridge und auf dessen Untersuchungen des Bewegungsablaufs von Pferden nicht zu übersehen. Der Soundtrack zu „Berlin Horse“ stammt von Brian Eno, der Le Grice’ Film als Ambient-Visual akzentuierte.
Die meisten Arbeiten in „X-Screen“ entstammen den zeitgenössischen Kunstströmungen, stehen also in Verbindung mit Minimal Art, Fluxus oder Konzeptkunst, und sind bereits kanonisch. Da es sich beinahe durchweg um große Namen handelt, von Bruce Nauman bis Marcel Broodthaers, von Carolee Schneemann zu Joan Jonas, kennt man sie eher aus monografischen Präsentationen. In Wien aber wird tatsächlich Filmgeschichte betrieben, in jenem erweiterten Sinn, den die vielen Formen des Expanded Cinema suchten. Zahlreiche Aktionen aus den Sechzigerjahren sind nur durch Fotografien überliefert oder als Anleitungen niedergeschrieben. Von Malcolm LeGrice gibt es eine Arbeit aus dem Jahr 1970 mit dem Titel „Horror Film I“, die McCalls Lichtkegel vorbereiten half: Er verband Projektion und Performance, indem er sich selbst in den Bildausschnitt stellte und sich dann langsam rückwärts bewegte. Am Ende befand er sich selbst außerhalb des Bilds, konnte dieses aber auch mit der bloßen Hand besetzen. Repräsentation wurde zu einer Frage der Präsenz.
Nam June Paik hatte schon 1964 in seiner Aktion „Zen for Film“ nicht nur den narrativen, sondern auch den experimentellen Film abgeschafft und sich selbst als eine Art Attrappe vor die Leinwand gestellt, auf die ein leerer Projektionsstrahl gerichtet war. Die Wiener Filmavantgarde entwickelte dazu die witzigen Varianten: Ernst Schmidt jr. mit seinem Film „Ja/Nein“ (1968), der zeigt, wie ein Vorhang sich vor einer Leinwand schließt und öffnet. Die Vorführer waren angehalten, parallel zum Filmbild den tatsächlichen Vorhang zu bewegen. Oder Hans Scheugl, der sich 1968 als „Der Voyeur“ selbst auf die Filmbühne stellte und dort einen pornografischen Film projizierte, dessen kleines Bild nur sehen konnte, wer sich selbst hinaufbegab und sich damit aus der Anonymität wagte.
Die Performance „Interior Scroll“ (1975) von Carolee Schneeman wirkt dazu wie ein geschlechterpolitischer Konter: Die Künstlerin stellte sich nackt auf eine Filmbühne, deklamierte einen Text („Ich traf einen glücklichen Mann, einen strukturalistischen Filmemacher“/ „Aber nennt mich nicht so, ich mache etwas anderes“, sagt er, „wir mögen dich, du bist reizend, aber sag nicht, dass wir uns deine Filme ansehen sollen, wir können sie uns nicht ansehen – das persönliche Wirrwarr“) und zog dazu einen Textstreifen aus ihrer Vagina. Schneemann wollte „in den Bruch zwischen Liveaktion und filmischen Bildern einsteigen“.
Das Museum führt hier notwendig Trennungen wieder ein, um deren Aufhebung es ursprünglich ging. An die Stelle der Aktion tritt das Dokument. Die Doppel- und Mehrfachprojektionen von Andy Warhol im Zusammenhang des „Exploding Plastic Inevitable“ werden von Ronald Nameth in dessen zeitgenössischem Dokumentarfilm radikal enthistorisiert. Im Mumok befinden sich diese Arbeiten schon fein säuberlich getrennt, in einwandfreien Projektionen, aus denen die Energien der Avantgarde gewichen sind. Von Warhol läuft „Lupe“ (1965), ein „women's picture“ mit Edie Sedgwick, in dem die letzten Stunden der hispanischen Schauspielerin Lupe Velez nachgestellt werden, die sich 1944 das Leben nahm.
Zahlreich sind die Versuche, das Kino an einen Nullpunkt zu bringen, an dem dann der Körper ins Spiel kommen kann. Valie Export, die sich selbst zwei Kameras applizierte, deren Bilder sie mit einem dritten Mastershot von sich selbst zu der Arbeit „Adjungierte Dislokationen“ (1973) zusammenstellte, ist dabei abstrakter als Dara Birnbaum, die in „Attack Piece“ (1975) einen Kampf um das dominante Filmformat in den Kategorien der Geschlechterdifferenz deutete: Die Künstlerin befand sich mit einer 35-mm-Kamera im Zentrum eines Felds, in das vier Männer (darunter Dan Graham) mit 8-mm-Kameras einzudringen versuchten. Die Kamera wird als Waffe und als phallisches Instrument erkennbar, eine Zone des Rückzugs gibt es nicht.
Dennis Oppenheim hatte dies schon ein Jahr davor in seiner Installation „Machine Gun Fire“ explizit gemacht: Der Raum, den das Publikum betritt, wird mit Bildsalven belegt, die durch das Geräusch eines Maschinengewehrs vertont werden. Alle diese Arbeiten kommentieren einander, wenn auch nicht immer nur produktiv: Oppenheims Arbeit wirkt neben der von Birnbaum redundant, ist aber unverzichtbar, gerade weil sie so explizit ist. Sie führt einen Beweis für eine Metapher.
Es ist unübersehbar, dass das ideologische Inventar zur Untersuchung des Kinos sehr spezifisch war und dessen Parameter limitiert. Nachdem alle strukturellen Achsen der Apparatur einmal freigelegt, unterbrochen oder neu vektoriert worden waren, blieb nur das Bild selbst als das, was sich der Konzeptualisierung entzieht. Wenn heute wieder ungebrochen von einem „anderen“ Kino die Rede sein kann, so bezieht sich dies zumeist ausschließlich auf Formen der Information, die in Wirklichkeit so anders gar nicht sind. Möglicherweise ist es auch eine Reaktion auf die ideologiekritischen Anstrengungen der Sechziger- und Siebzigerjahre, dass heute eher metaphorische und elegische Filmarbeiten im Kunstbetrieb reüssieren. Die Kluft zwischen den Arbeiten aus „X-Screen“ und einem „anderen“ Kino ist jedenfalls beträchtlich, nicht zuletzt deswegen, weil das Kino wohl niemals heterogener war als um 1970 – und niemals näher an der Kunst.
„X-Screens. Filmische Installationen der Sechziger- und Siebzigerjahre“: Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig (Mumok), Wien, bis 29. Februar, Katalog 38 Euro