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Archiv-Artikel

Ingenieure auf der Flucht

Als sie die Firma übernahm, kündigten die Abteilungsleiter. Die Chefin als Projektionsfläche: Ist sie besser, hat sie es schwerer? Eine Bestandsaufnahme

Es hagelte Kündigungen.Ich kann eine Frau alsChef nicht akzeptieren,hieß es dann

von HEIKE HAARHOFF

Es war 1993, ihr Mann war gerade an Krebs gestorben, der Sohn eineinhalb Jahre alt, und Elke von der Becke tat, was sie in dieser Ausnahmesituation für das Naheliegende hielt: Sie machte sich zur Geschäftsführerin der Firma Frielinghaus mit Sitz in Lüdenscheid. Die hatte bis dahin ihrem Mann gehört und stellt Kunststoffverpackungen für Kosmetik, Reinigungs-, Wasch- und Spülmittel her. Schließlich hatte sie eine kaufmännische Ausbildung, schließlich hatte sie jahrelang bei wechselnden Unternehmen als Assistenz der Geschäftsführung gearbeitet, zuletzt bei Frielinghaus, schließlich kannte sie die Firma, die Produktionsabläufe und ihre knapp 50 Mitarbeiter in- und auswendig. Dachte sie.

Es hagelte Kündigungen. Leitende Angestellte, Ingenieure liefen ihr davon. Manche waren so fair, ihr den Grund mitzuteilen. Ich kann eine Frau als Chef nicht akzeptieren, hieß es dann. Elke von der Becke dachte, sie höre nicht recht. Sie, die Frau, die Mitarbeiterin, die Kollegin, der immer mit Respekt begegnet worden war. Sie fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Und, schlimmer noch: Fast wäre sie darüber pleite gegangen. Von jetzt auf gleich Spezialisten für Kunststoffbläserei zu finden, dazu für ein Unternehmen mit einer Frau an der Spitze, war Mitte der 90er-Jahre nicht einfach.

Heute, zehn Jahre später, ist die Frielinghaus GmbH eine der erfolgreichsten ihrer Branche in Deutschland und die Lage auf dem Arbeitsmarkt so, dass nur wenige ihren Job leichtfertig aufgeben würden. Das Spannungsfeld aber sei „das übliche“ geblieben, sagt Elke von der Becke: „Eine Frau macht Vorschriften, das mögen viele Männer immer noch nicht.“

Solche Voreingenommenheiten gegenüber Frauen in Chefetagen sind weder eine Spezialität der Kollegen aus Lüdenscheid, noch werden sie lediglich von Männern geäußert, noch sind die Vorurteile über Chefinnen ausschließlich negativ. Eine Flut von Studien, Aufsätzen und Debattentexten ist dem Phänomen von Frauen in Führungspositionen, auch in Deutschland, gewidmet, ja, ganze Bücher gehen der Frage nach: „Sind Frauen die besseren Menschen?“

Da kommt schon einiges an Klischees zusammen, was für die Beurteilung der Führungsqualitäten von Frauen, je nach Standpunkt des Betrachters oder Auftraggebers der Studie, förderlich wie hinderlich sein kann. So argumentiert etwa der Buchautor Reinhard Kreissl über „Die ewige Zweite“: Gerade weil Frauen „auf Kooperation statt auf Konkurrenz“ setzten und „auf Zustimmung hofften, statt Gehorsam einzufordern“, herrsche in Unternehmen mit vielen Frauen „Chaos“. Einziger Ausweg, so Kreissls düstere Prognose: „Entweder mutieren Frauen zu den besseren Männern, oder die Macht zerrinnt, wenn sie in ihre Hände gerät.“ Dagegen kommt eine Studie der britischen Universität Leeds, jüngst in der Times vorgestellt, bei ähnlicher Einschätzung dessen, was Frauen besonders auszeichnet, zu dem exakt umgekehrten Schluss: „Frauen sind die besseren Chefs. Am besten schneiden sie ab, wenn es darum geht, Mitarbeiter zu motivieren und Probleme zu lösen.“

In dem (pseudo-)wissenschaftlichen Sammelsurium über das vermeintliche „Geheimnis Karrierefrau“ wird darüber hinaus vehement behauptet, dass spezielle weibliche Eigenschaften zum Führen für Frauen, die etwas werden wollen, unerlässlich sind. Beziehungsweise überhaupt nicht gebraucht werden. Dass Frauen angeblich weniger Seilschaften eingehen und deswegen die Unterlegenen sind. Oder eben gerade die Überlegenen. Aber auch: dass Frauen für dieselbe Anerkennung doppelt so viel schuften müssen. Dass Familie und Karriere kaum miteinander vereinbar sind. Dass Frauen im Topmanagement von Männern nicht wegen ihrer Leistung anerkannt werden, sondern bloß als „Sexobjekt“. Dass Frauen auf höchster Ebene „intrigant“, wahlweise „stutenbissig“ sind. Dass sie sich nicht so sehr an Kriterien wie Prestige, Einkommen und Aufstiegschancen orientieren und deswegen oft das Nachsehen haben.

Die Liste ließe sich so lange fortsetzen, wie Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung eine vermeintlich kuriose Minderheit darstellen, in die jeder hineininterpretieren darf, was er oder sie schon immer über Vorgesetzte dachte. Erst ab 30 Prozent, so die wissenschaftliche Faustregel, verliert eine Minderheit innerhalb einer Gruppe ihren Minderheitenstatus, der sie zur Projektionsfläche für Vorurteile gegen die Gesamtgruppe macht.

Und diese 30 Prozent erreichen Frauen auf der Führungsebene in Deutschland nicht. Laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamts, der größten Haushaltsbefragung in Deutschland, waren im Jahr 2000 11 Prozent der abhängig beschäftigten Frauen als Führungskraft oder in herausgehobener Position beschäftigt, 10 Prozent als leitende Angestellte und 1 Prozent als Beamtin im höheren Dienst. Weniger als ein Drittel aller Führungskräfte der Industrie, im Dienstleistungsbereich und in der Verwaltung war damit weiblich, mehr als zwei Drittel männlich.

Woran also liegt’s? Die Verpackungsunternehmerin Elke von der Becke aus Lüdenscheid sagt: „Vorurteile. Wenn ich zu Kunden komme, gucken die manchmal schon komisch, dass da eine Frau aus dem Wagen steigt. Als würden sie mir das nicht zutrauen.“ Mangelndes Vertrauen, besonders von Frauen gegenüber Frauen, nennt auch die Busunternehmerin Gerda Klingenfuß aus dem nordrhein-westfälischen Velbert als Grund: „Die Frauen lassen die Frauen nicht.“ Klingenfuß, 59 Jahre, 120 Mitarbeiter, 47 Busse und Autos, seit 32 Jahren im Geschäft, ist eine Frau, die gelernt hat, ihren Groll als Witz zu verpacken: „Sitze ich hinterm Lenkrad. Steigt eine Frau in den Bus. Fragt: Wo ist hier der Fahrer? Antworte ich: hier, ich bin das. Die Frau: Was? Dann holen Sie den Koffer wieder raus! Mit einer Frau fahre ich nicht!“ Klingenfuß lacht. Dabei ist die Begebenheit wahr, und – kein Einzelfall, sondern einer der Hauptgründe, weswegen Frauen der Aufstieg in die Führungsebene so selten gelingt.

Das jedenfalls fand die Hamburger Professorin Sonja Bischoff heraus. Dreimal in Folge – 1986, 1991 und 1998 – untersuchte sie die Lage von „Männern und Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland“ und stellte fest: Knapp die Hälfte der befragten Frauen und Männer hatten sowohl Erfahrung mit männlichen als auch mit weiblichen Führungskräften. Fast zwei Drittel dieser Männer und Frauen wiederum waren der Auffassung, dass die Zusammenarbeit mit weiblichen Chefs genauso gut war wie mit männlichen. Und: Weder die Branche noch der Frauenanteil im Unternehmen konnte als Indikator für die Aufstiegschancen von Frauen interpretiert werden. Vielmehr, so Bischoff, bestimmten Personalpolitik und die dahinter stehende Einstellung des Topmanagements die unternehmensindividuell unterschiedlichen Chancen für Frauen. Konkret: „Wichtigstes Hindernis beim Aufstieg sind Vorurteile von Vorgesetzten, die sich in mangelnder Akzeptanz und Misstrauen gegenüber den Leistungen einer Frau ausdrücken“, so Bischoff. So gaben 33 Prozent der Frauen an, in ihrem Berufsleben schon einmal geschlechtsbedingte Diskriminierung erfahren und Situationen der Geschlechterkonkurrenz erlebt zu haben. Eine untergeordnete Rolle spielte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Solange kulturelle Stereotype von Weiblichkeit existieren, solange Frauen, die eine herausragende Machtposition erobern, in der Ordnung der Geschlechter irritierend wirken, solange sind sie zumindest dazu gezwungen, sich mit Klischees auseinander zu setzen. Wie, das macht jede mit sich selbst aus. Ein Patentrezept scheint es nicht zu geben.

Die Busunternehmerin Gerda Klingenfuß sagt, dass sie sich manchmal ärgert, dass Männer von Natur aus ein stärkeres Stimmvolumen und oftmals eine beeindruckendere Statur haben als sie. Anderes, was leichter nachzuahmen war, hat sie sich von Männern abgeguckt: Klinkenputzen und Klüngeln beispielsweise. „Anfangs war das nicht so mein Ding.“ Heute sitzt Klingenfuß der Werbevereinigung Langenberg mit 130 Mitgliedsbetrieben vor, ist im Vorstand verschiedener Vereine und im Velberter Stadtrat stellvertretende Fraktionschefin ihrer eigens gegründeten Wählergemeinschaft. Sie ist dem Verband Deutscher Unternehmerinnen beigetreten und seit zwei Jahren Mentorin von Jungunternehmerinnen. Sie hat versucht, sämtliche weiblichen Klischees zu vermeiden, und stattdessen genau das getan, was Männer gemeinhin tun, wenn sie die Karriereleiter erklimmen wollen. Aber zugetraut hat man ihr ihre Position oft trotzdem nicht. „Es gibt Kollegen von konkurrierenden Unternehmen, die nehmen mich schon mal zur Seite und fragen allen Ernstes: Sag mal, und wer macht den Betrieb wirklich bei dir?“

Sie hat sich darüber geärgert, so sehr, dass sie anfing, „alles, aber wirklich alles selbst machen zu wollen, nach dem Motto, bloß nicht die Kontrolle verlieren“. Ein paar Jahre ist das her. 24 Stunden täglich, sagt Gerda Klingenfuß, drehten sich ihre Gedanken um den Betrieb und, nun gut, um ihre Tochter natürlich auch, „aber die war ja nicht das Problem, die lief ja so mit“. Dann wurde sie ernsthaft krank: fünf Wochen Krankenhaus. „Ob sie es mir glauben oder nicht, ich, eine Frau, musste lernen, abzugeben und zu delegieren“, sagt sie.

Auch Elke von der Becke aus Lüdenscheid hat ihren Weg gefunden, „mit den Sprüchen, der Skepsis, dem Misstrauen“ umzugehen, mit denen ihr zuweilen noch begegnet wird. Wenn ihr jemand ganz blöde kommt, greift sie zur Abschreckung gern mal tief in die Klischeekiste und erzählt, dass das Sternzeichen des Bewerbers bei Einstellungen in ihrem Unternehmen durchaus ausschlaggebend sein kann.