: „Die Osterweiterung ist nicht zum Nulltarif zu haben“
Die rot-grüne Bundesregierung will beim EU-Haushalt sparen. Zwei deutsche Europaabgeordnete – von CDU und SPD – sehen das etwas differenzierter
taz: Mit der Erweiterung sieht sich die EU neuen Aufgaben gegenüber. Brauchen wir dafür, wie Kommissionspräsident Prodi sagt, mehr Geld?
Martin Schulz: Zahlenspiele bringen uns nicht weiter. Es geht nicht darum, ob wir die Einzahlungen auf 1,24 Prozent des Bruttonationalprodukts der EU erhöhen oder den Haushalt bei 1,00 Prozent einfrieren. Die EU wird in drei Bereichen mehr Aktivität entwickeln müssen: Bei Innovation und Forschung, in der Entwicklungszusammenarbeit und beim Aufbau der neuen Mitgliedsländer muss mehr Geld investiert werden. Dafür könnte bei den Agrarausgaben gespart werden.
Hans-Gert Pöttering: Es ist richtig, dass die Erweiterung nicht zum Nulltarif zu haben ist. Natürlich muss man überlegen, wo man sparen kann. Aber auf allen Ebenen. Es kann nicht sein, dass man den EU-Haushalt einfriert, während andererseits Frankreich und Deutschland sich weigern, mehr zu sparen, und die Stabilitätskriterien verletzen.
Die EU braucht Wachstumsimpulse, doch das kostet. Andererseits stöhnen viele Länder jetzt schon unter den Auflagen des Stabilitätspakts. Was hat Priorität – die Spardisziplin oder die Anschubfinanzierung für Wachstum?
Hans-Gert Pöttering: Man muss einen Mittelweg gehen. Der EU-Haushalt sollte maßvoll aufgestockt werden. Für die Erweiterung, aber auch für neue Aufgaben in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich würde es nicht für angemessen halten, die Obergrenze von 1,24 Prozent des Bruttonationalprodukts voll auszuschöpfen. Haushaltskommissarin Schreyer schlägt wohl 1,12 Prozent vor, aber ich will mich nicht auf eine Zahl nach dem Komma festlegen. Je nachdem, was wir auf dem Balkan tun müssen, für Irak, für Afghanistan, müssen die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden.
Martin Schulz: Die Kommission muss sich die Frage gefallen lassen, wie sie glaubwürdig bleiben will. Unter den sechs Ländern, die in einem Brief an Romano Prodi Ausgabendisziplin der Union gefordert haben, sind ja auch Deutschland und Frankreich. Beide will die Kommission in Luxemburg verklagen, weil sie die Sparauflagen des Pakts verletzen. Ich halte die Klage für falsch. Gleichzeitig gehören beide zu den größten Nettozahlern und sollen nach Prodis Vorstellungen demnächst deutlich mehr Geld nach Brüssel transferieren.
taz: Die Gruppe der EU-Staaten, die eine Deckelung der Ausgaben befürworten, wächst. Droht nach der Blockade im Verfassungsstreit nun die Finanzblockade?
Hans-Gert Pöttering: Es müssen sich alle bewegen. Ich kritisiere, dass der deutsche Bundeskanzler bei der Frage der doppelten Mehrheit nicht kompromissbereit ist. Natürlich bin ich auch dafür, dass sich das Konventsergebnis durchsetzt. Aber man muss mit den Polen und Spaniern auch zu reden bereit sein. Sonst stellt man das ganze Projekt in Frage. Ich habe die Vermutung, dass der Bundeskanzler das will, weil er möglicherweise kein Interesse an der Verfassung als solcher hat.
Martin Schulz: Es droht keine Finanzblockade. Es erwarten uns lebhafte Diskussionen darüber, wer welche Leistungen erbringen kann. Und das ist gut so.
taz: Schon vor dem Dezember-Gipfel hat sich bei den reformwilligen Ländern abgezeichnet, dass sie die Kompromissbereitschaft der Beitrittsländer und ihre eigene Zahlungsbereitschaft in Zusammenhang stellen. Halten Sie das für legitim?
Martin Schulz: Ich möchte die Frage umdrehen. Die zwei Länder, die in Widerspruch zu den anderen 23 die Einstimmigkeit in bestimmten Bereichen betonieren wollen, dürfen sich nicht wundern, wenn sie dann bei der Abstimmung über den Haushalt Probleme bekommen, weil Einstimmigkeit nicht zustande kommt.
Hans-Gert Pöttering: Wenn einige Länder – wie jüngst geschehen – einen entsprechenden Brief an Herrn Prodi schreiben, wird das bei den neuen Mitgliedsstaaten als Bedrohung wahrgenommen und als Retourkutsche dafür, dass es bei der Verfassung noch kein Ergebnis gibt. Man soll im Ministerrat nach Kompromissen suchen sowohl in der Finanzfrage als auch bei der Verfassung, die für uns oberste Priorität hat.
taz: Österreichs Bundeskanzler Schüssel hat die EU-Steuer neu ins Gespräch gebracht. Was halten Sie davon?
Martin Schulz: Wir diskutieren ja schon länger über Eigenmittel. Da stellen sich stets zwei Fragen: Erhebt die EU selber die Steuer? Oder die Mitgliedsländer? Das ist hoch umstritten. Eine von der Union erhobene Steuer wäre ein weiterer Schritt zur Eigenstaatlichkeit der EU. Deshalb halte ich das zurzeit für eine sehr theoretische Diskussion.
Hans-Gert Pöttering: Man könnte ja eine europäische ökologische Steuer einführen. Die deutsche Ökosteuer beeinträchtigt unsere Wettbewerbsfähigkeit. Gäbe es sie einheitlich in der EU, wäre das gerechter. Das dürfte aber nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Bürger führen.
taz: Es liegt eine Menge Streit in der Luft. Wird sich das auf die Europawahlen im Juni auswirken?
Martin Schulz: Hoffentlich. Streit hebt die Mobilität im Wahlkampf. Je intensiver politische Sachverhalte diskutiert werden, desto höher ist die Wahlbereitschaft.
Hans-Gert Pöttering: Europa ist keine Harmonieveranstaltung. Man muss im Wahlkampf unterschiedliche Alternativen darstellen. Aber wir müssen auch alle kompromissbereit sein. Keiner vertritt die alleinige europäische Wahrheit.
INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER