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Archiv-Artikel

Nicht so bunt wie ein bunter Pudel

Verzweifelte Nymphomanin auf Suche: Anna Kaleris Stilblütenfibel „Es gibt diesen Mann“

Fast alle Geschichten in Anna Kaleris Erzählband „Es gibt diesen Mann“ beginnen mit dem Satz „Es gibt diesen Mann.“ Die Autorin beherrscht aber auch andere erste Sätze: „Es gibt diese Frau.“ „Es gibt diesen Berg.“ „Es gibt diesen Alptraum.“ Was danach folgt, ist jeweils ein meist ein- bis zweiseitiger Ausschnitt aus einer grotesken Parallelwelt: Die Ich-Erzählerin wird mehrmals überfahren, ohne ernsthafte Verletzungen davonzutragen, und gebärt unzählige Kinder von namenlosen Männern.

Katholiken sind darunter, die sich mit der Protestantin über Martin Luthers Thesen streiten; Ausländer, die kurz vor dem Einzug ins gemeinsame Haus wieder in ihre Heimat zurückkehren müssen, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist; Hochstapler, die sich als Schriftsteller bezeichnen, obwohl sie nie schreiben; und Feiglinge, die erst zu Besuch kommen, „wenn die Kinder schon von sich aus sagen, dass sie müde sind“. Ein Schweizer, der großen Wert auf Mundhygiene legt, fragt nach jedem Kuss, welche Zahnbürste sie benutze. Ein Ritter schläft ein, bevor er sie küssen kann. Und ein Tempeldiener gewährt ihr keinen Zutritt. Sie macht keine guten Erfahrungen, trotzdem empfindet sie jede Begegnung als neue Herausforderung.

Anna Kaleris Buch ist eine Coverversion von Peter Esterházys 1996 erschienenem Roman „Eine Frau“. In 97 Kapiteln beschwört der ungarische Autor darin das Weibliche. Im Unterschied zu Kaleri leitet er jede Beschreibung mit einem unbestimmten Artikel ein. Das Subjekt, um das der Mann wirbt und an das er sich langsam herantastet, bleibt vage und rätselhaft. Esterházys Minneprosa ist ein Kaleidoskop von vorsichtigen Berührungen und unglücklichen Besteigungen, eine subtile Darstellung mehrerer Liebespaare, die nie richtig zueinander finden.

Anna Kaleris Brunftgesang ist dagegen eindeutig und direkt. Ihre Figuren sind so scharf konturiert wie ein Waschbrettbauch: Es gibt keine Falte, in der sich ein Geheimnis verstecken könnte. Wie schon Tanja Dückers mit ihrer Erzählung „Cafe Brazil“ und Rebecca Casati mit ihrem Roman „Hey Hey Hey“ entwirft Anna Kaleri in 60 Episoden Frauen- und Männerbilder, die man aus Hochglanzmagazinen kennt: verzweifelte, ständig geile Singles, die auf jeden Körper springen, der ihren Geschlechts- und Fortpflanzungstrieb zu befriedigen verspricht. Anna Kaleris Prosaminiaturen folgen jedoch keinem Plan. Es gilt nicht, eine Liste von 1 bis 100 oder von A bis Z zu vervollständigen oder eine allgemeine Befindlichkeit zu archivieren. Anna Kaleri ist keine Popautorin. Ihr Schreibimpuls scheint immer dann stimuliert worden zu sein, wenn sie einem neuen Typen begegnet ist: „Schon ein Blick aus seinen Pupillen machte mich schwanger mit Ideen“, heißt es einmal. Dass diese Ideen nicht immer zu den originellsten gehören, zeigen die vielen metaphorischen Klischees: Es gibt den „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“, den Schweizer mit einer Nase „a là Matterhorn“ und gefräßige Männer, die „ein Loch im Bauch“ haben.

In einer Geschichte trifft die Ich-Erzählerin gleich auf vier Männer, die auch noch vier verschiedene Sprachen sprechen, ein Umstand, der sie sichtlich zu überfordern scheint. Einer sagt Butterfly, ein anderer Farfalla und der dritte Papillon. Alles ist gut, bis einer Schmetterling sagt. Denn die erste Assoziation, die der Frau bei der deutschen Bezeichnung in den Sinn kommt ist: „.und man hörte schwarze Stiefel auf Kopfsteinpflaster knallen und Marschmusik dazu“. Sätze wie „wir tatschen unsere Hintern an, erst hinten, dann vorne“, „ich bin Prinzessin auf der Erbse ohne Erbse“ oder „ihre Haare haben sich noch nicht gekraust oder glatt entschieden, da hilft auch keine Zahnspange“ sollen vielleicht poetisch wirken oder literarische Konventionen aufbrechen. Wahrscheinlicher aber ist, dass es sich dabei um eine weitere Variation sprachlicher Entgleisung handelt. Anna Kaleris Debüt ist eine Stilblütenfibel. Wo sonst hat man in letzter Zeit von einem Unterton gelesen, der nach Zwiebeltränen klingt, von einer Frau, „die nicht so bunt ist wie ein bunter Pudel“ und von „spiegeleiergroßen“ Augen, die über „bergevollen Wangen klimpern“? Die Geschichten selbst wirken dagegen blass und banal.

Es gibt dieses Buch. Warum, weiß wohl nur der Verlag. JAN BRANDT

Anna Kaleri: „Es gibt diesen Mann“, Luchterhand, München 2003, 144 Seiten, 15 Euro