: Armut macht reich
Das Museum – ein Kunst-Mausoleum? Die Weserburg widerlegt‘s mit spektakulären Neuzugängen. Die zeigen, dass revolutionäre Sprengkraft in Werken ewig lebt – auch wenn sie im Leben erlischt
Für’s Museum gedacht waren sie nie. Eher gegen sie: Gegen eingestaubte Musentempel, gegen den Kunstbetrieb, gegen die unterkühlte Concept-Art und gegen die kommerzielle Pop-Art setzten die italienischen Künstler der späten 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihre Zeichen. Ob ihrer vergleichbaren Materialien – billige Industriestoffe, Organisches – fasste der Kritiker Germano Celant diese Werke in dem Begriff der „arte povera“, der armen Kunst, zusammen. Eine Richtung war geboren – auch wenn die einzelnen Künstler wenig untereinander pflegten.
Was einmal als eine Strömung kategorisiert ist, steht bereits mit einem Bein im Museum und gilt schon am nächsten Tag als klassisch. Dass Installationen von Mario Merz oder Iannis Kounellis längst Einzug in die heiligen Hallen des Guggenheim oder des MoMa gehalten haben ist aber nicht lediglich ein Beleg des Scheiterns ihrer Kunstrevolution. Das beweist die neue Dauerpräsentation in der Bel Etage des Neuen Museums Weserburg, die ab dem 14. März frei zugänglich ist. Denn obgleich etlichen Nachfolgern als Inspirationsquelle dienend, in ihrer Radikalität sind sie selten erreicht. Und übertrefflich.
Zugegeben: Zu verstören wie einst vermögen sie nicht mehr. Der 1966 entstandene Regenmantel von Mario Merz etwa, ein locker an einem Hacken aufgehängtes beiges Trenchcoat, überdeckt von einer gelblichen Bienenwachsplatte in der eine dünne weiße Neonröhre kurvig mündet – das sind Arrangements, mit denen der Kunstkonsument umzugehen gelernt hat. Ebenso wenig würden heute Kounellis Happenings schockieren: Die zwölf als Werk in einer römischen Galerie präsentierten Pferde sind längst begraben – leiblich sowohl als auch in den Archiven der Kunstgeschichte. Auch seine weiße Leinwand, um die herum, ganz in einen durchbrochenen Rahmen verdrängt, Fragmente klassizistisch geformter Stahlskulpturen drapiert sind – solches zu sehen hat man gelernt. Offen aber geblieben ist die Frage, ob es auch zu verstehen ist, welchen Sinn das Werk jenseits seiner plakativen Provokation hat – oder macht: Diese Kunst bleibt virulent, sie ist, wenn auch inkorporiert, so noch lange nicht verdaut. Charakter dem das Konzept des Hauses entspricht: Das Neue Museum Weserburg ist als Sammlermuseum von Anfang auf den Wandel der Präsentation angelegt. Denn die gezeigten Werke sind Leihgaben: Der Wechsel der Hängung, ihre stetige Erneuerung ist inbegriffen. Und widerlegt so Alexis de Tocquevilles böses Wort vom Museum als einem „Mausoleum der Kunst“.
„Die Frage seit Bestehen des Museums war“, so Direktor Thomas Deecke, „wie setzt man ein solches Konzept fort.“ Daher stellt der kommende Freitag eine wichtige Zäsur in der kurzen Geschichte des Hauses dar: Seit Anbeginn präsent hat sich die Sammlung Onnasch massiv verändert. Und völlig neu hinzu gekommen ist einerseits die Bremer Sammlung Tu – die sechs Werke von Markus Lüpertz beisteuert – andererseits die Münchner Sammlerin Ingrid Goetz. Sie zeigt 22 wahrhafte Prunkstücke ihrer einzigartigen Arte Povera-Kollektion in der Bel-Etage. Und auch den Nachbarraum hat sie bestückt: Mit zwölf Arbeiten des 1954 bei Detroit geborenen Mike Kelley. Dessen ironischen Arbeiten mit Plüschtier-Eingeweiden und riesigen Deodorant-Apparaten sind gleichsam eine künstlerische Fortsetzung des arte povera-Ansatzes: Nicht mehr jedoch mit revolutionärem Gestus – sondern auf dem Wege der Subversion kommentiert er die Welt.
Benno Schirrmeister