Jedem seine starke Frau

Revolution und Leidenschaft bilden ein verführerisches Duo: Eine Lesung aus dem unverfilmten Drehbuch „Rosa Luxemburg – Der Flug der Lerche“ im Tränenpalast

Manchmal ist es ja ganz erstaunlich, wenn man zu einer Veranstaltung geht, von der man zunächst dachte, sie würde kaum auf Interesse stoßen, und dann ist man da, Montagabend im „Tränenpalast“, der Saal ist proppevoll und die Frau auf der Bühne von der Firma „Barbarella Entertainment“ sagt einleitend, dies sei also die 75. Folge der Reihe „Readings – Neues aus dem Giftschrank“, bei dem Schauspieler in verteilten Rollen ein bühnenkompatibel gemachtes unverfilmtes Drehbuch vorlesen.

Das Konzept stammt aus New York. Die Reihe wird seit April 1999 in Berlin – zunächst in „Clärchens Ballhaus“ –, Hamburg, Köln und München präsentiert. Mittlerweile gibt es einzelne Folgen der Readings auch bei 3sat unter dem Titel „filmreif“. Eine interessante Form der Verwertung. Die Drehbücher mussten ja bezahlt werden, auch wenn die meisten nicht verfilmt werden. Wenn man bedenkt, dass Millionen Theater-, Film- und verwandte „Wissenschaften“ studieren, ist das Publikumsinteresse nicht überraschend.

Diesmal wurde „Rosa Luxemburg – Der Flug der Lerche“ von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich gegeben.Es lasen neun Schauspieler, u. a. Hanns Zischler, Pierre Besson und Anna Thalbach. Rainer Werner Fassbinder hatte das gute Stück 1982 mit Jane Fonda in der Titelrolle verfilmen sollen. Angeblich sei er mit dem Skript in der Hand gestorben. Erzählt wird das Leben der Revolutionärin chronologisch. Die Geschichte beginnt in der Schweiz. Luxemburg ist Teil einer exilpolnischen sozialdemokratischen Gruppe und spricht viele Merksätze wie: „Sie können unsere Hände fesseln, aber nicht unsere Gedanken.“ Auf einem Kostümball verkleidet sie sich wie die Revolution aus dem Bild von Delacroix. Am Ende spielt sie die Revolution in echt, in Berlin während der Novemberunruhen 1918.

Alles, was die starke Frau anpackt, gelingt zunächst: Sie findet einen Mann für das Herz und einen Mann zum Heiraten wegen der deutschen Staatsbürgerschaft; sie macht ihren Doktor mit Auszeichnung und findet bei der SPD in Berlin schnell Anerkennung; sie unterstützt den Sozi-Kandidaten irgendwo in Schlesien, dessen Stimmenanteil sich daraufhin verdoppelt. Während Bebels SPD für die Kriegskredite stimmt, sich „an die Wähler anpasst, anstatt sie zu führen“, landet sie ungebrochen im Gefängnis. Rosa Luxemburg ist in der Liebe liberal, Enttäuschungen werden gemeistert, Revolution und Leidenschaft bilden ein verführerisches Duo, ein Kaninchen namens Mimi spielt auch eine Rolle. Das Ende ist bekannt.

Beeindruckend an der Lesung vor allem, wie neun Schauspieler, wenn sie durcheinander reden, den Eindruck einer großen Parteiversammlung hervorrufen können. Professor Märthesheimer ist gerührt, auch wenn ihm sein Drehbuch mittlerweile fremd vorkommt. Er würde keinen Luxemburgfilm mehr schreiben. Man müsse das alles auch in dem zeitlichen Kontext sehen. Anfang der Achtziger gab es viele Filme, die etwa „Rote Fahnen sieht man besser“ hießen, und Margarethe von Trotta machte dann ja auch ihren Rosa-Luxemburg-Film. Fassbinder hätte das Drehbuch übrigens nie gelesen und kannte nur das Treatment. DETLEF KUHLBRODT