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Archiv-Artikel

Halle 26b – ein Albtraum

Die „Jugend-Eventhalle“ auf der Grünen Woche will über Ernährung und Gesundheit aufklären. Dass die Jugendlichen dem Konsum dabei nicht abschwören, dafür wird in Halle 26 b auch gesorgt

VON WALTRAUD SCHWAB

Keine Tomaten haben die Jugendlichen von heute auf den Augen, wohl aber Kiwis. Das darf annehmen, wer die so genannte Jugend-Eventhalle auf der Grünen Woche besucht. Denn mit Flyern, auf denen sich ein blondes Mädchen zwei Kiwischeiben wie eine Sonnenbrille vor die Augen hält, wird die Halle 26b angekündigt. Dort soll Teenagern der Zusammenhang zwischen Ernährung, Bewegung und Gesundheit klar gemacht werden. „Voll lecker, voll locker“, „talking food“ oder „FitFoodFun“, lauten die Slogans, die das Anliegen des Mädchens mit der Kiwibrille unterstreichen.

Erster Blickfang bimBetreten der Halle ist Vodafone. Die Signalfarbe Rot kennzeichnet den Stand. Gespickt ist er mit Angeboten, wie noch besser, noch schneller und zu noch günstigeren Tarifen telefoniert werden kann. „Das Handy da ist cool“, sagt ein Mädchen zu seiner Freundin und zeigt auf eins, das Puderdosengröße erreicht hat und gut im BH versteckt werden kann.

Am Stand gegenüber sind Azubis der DAK, der Krankenkasse, abgestellt, um „talking food“ zu erklären. „Eben übers Essen sprechen“ heißt das, erläutert einer hingebungsvoll, „was gesund ist und so“. Hinter der Krankenkasse dürfen Bälle in einen fünf Meter hohe Milchtüte geworfen werden. Wer trifft, ist ein Winner. „Milch ist gesund.“ Daneben steht ein Gerät, in dem Jugendliche angeschnallt und um ihre Achse gedreht werden. Wie fühlt sich das an? „Voll krass, ich geh gleich noch mal, ich will ja Pilot werden“, antwortet der Teenager. In Halle 26b ist er da richtig, denn wo junge Leute auf Messen sind, wirbt auch die Bundeswehr. Passend zur Grünen Woche hat sie ein paar preisgekrönte Armeeköche hier abgestellt. Sie kreieren eine fantastisch aussehende Nachspeise, die an eine Abwehrrakete erinnert und umrandet ist von Beerenmusblut. Die Zutaten, die für die Kreation verwendet werden, seien die gleichen, die auch der Rekrut in der Kompanieküche bekomme, versichert der Koch.

Damit das „Alle sind gleich“ einer Armee besser verstanden wird, können Hintergrundgespräche mit sympathischen Bundeswehrberatern geführt werden. Sich in einem Flugsimulator anfixen lassen für die Pilotkarriere ist ebenfalls drin. Voll Ernst sitzen die Jugendlichen am Knüppel. Abstürzen würde kaum einer, meint ein Soldat im Tarnanzug, denn joysticksicher seien die Jugendlichen heute allemal. „Superman, Superman!“, singt der Popstar auf den Bildschirmen der Event-Bühne vor quietschenden Mädchen und verschwindet im Off.

Fliegen? Oder doch lieber fahren? Hinter dem Bundeswehrstand werden die Jugendlichen vom ADAC-Jugendclub geankert. Speziell für die 14- bis 18-Jährigen meint die beflissene Dame, sei der. Als Alternative dazu kann man sich an einer Globetrotter-Kletterwand in Extremsport ausprobieren. Den Ernährungsassistenten dabei gibt der Verkäufer von „Beef Jerky“. „Das beste Beef Jerky der Welt“, erklärt er. Die Rinder seien aus Neuseeland, verarbeitet werden sie in den USA, und dann komme das Fleisch zu uns. Wenig Kalorien habe es. Man werde nicht dick davon, meint er. Wie Hundefutter sieht das Essmaterial aus.

Zur weiteren Aufklärung der Jugendlichen tragen in Halle 26b weitere Krankenkassen und Extremsport-Agenturen bei. Für zwei Euro kann sich der Mensch Bungee springend an Gummiseilen in die Luft schleudern lassen. Oder doch lieber „Funware Products“ per Los erwerben? Was macht denn den Fun aus? „Na Computerspiele eben“, antwortet die Standhostesse indigniert. Ein paar Prozent des Erlöses gingen an eine Kinderkrebsstiftung. Danach muss bei McDonald’s auf Standfahrrädern noch um die Wette gefahren werden. Sieger dürfen sich einen Eis-Wicht, einen Shake-Kobold oder ein Glas Biomilch aussuchen und sofort verspeisen. Alternativ gibt es Donuts, Iso-Drink und Coca-Cola.

Wie findet ihr es hier?, werden ein paar Jugendliche gefragt. „Voll krass. Cool. Nur dass man fürs Springen zwei Euro zahlen soll, find ich Scheiße.“ Woher kommt ihr denn? „Aus Köthen“, antworten sie. „Die Armen, die finden das nur cool, weil sie die You nicht kennen“, sagt eine Berlinerin. Die You, diese Jugendmesse, die sei viel besser. „Na ja, auch nicht viel besser, aber größer“, schiebt sie dann nach.

In der Mitte der Halle ist ein Beachvolleyballfeld. Ein paar Mädchen sitzen am Rand, schreiben SMS oder starren vor sich ins Nichts. Denn Halle 26b ist ein Albtraum. Einziger Lerneffekt: Zwischen Extremsport, Krankenkassen und Essen – „FitFoodFun“ – besteht ein Zusammenhang. Einzige Message: Der Teenager ist Konsument. So wenig haben die Jugendlichen, die schulklassenweise vorbei kommen, nicht verdient. Zur Ehrenrettung trägt einzig die Domäne Dahlem bei. In einer Ecke wirbt sie für ihr „Kochen mit Kindern“.

Seit Monaten schlagen die Gesundheitsschützer und Ernährungsexperten Alarm: Viele Jugendliche sind zu dick. Laut einer neuen internationalen Studie haben in Deutschland mehr als 5 Prozent aller 15-Jährigen starkes Übergewicht. Die Ursachen dafür werden breit diskutiert: Da ist die Auflösung der geregelten Mahlzeitenstruktur, die Essen zu einer Nebenbeschäftigung macht. Da ist das Zuviel an Zeit vor Fernseher oder Computer und das Zuwenig an Bewegung. Und da ist vor allem die massive, an Jugendliche gerichtete Werbung der Fastfood- und Junkfood-Ketten, die Einfluss auf das Essverhalten der Kinder nimmt.

Der neueste Vorschlag von Verbraucherschutzministerin Renate Künast zielt deshalb darauf ab, die Ernährungsindustrie in die Pflicht zu nehmen. Sie soll einen Fonds finanzieren, mit dem Aufklärungskampagnen zu den Folgen der Fehlernährung bei Kindern finanziert werden sollen. Die Ernährungsindustrie sei offen für eine Fondslösung, lassen der Sprecher der Firma Intersnack sowie der McDonald’s-Konzern verlauten. Allerdings fordern sie ein Mitspracherecht bei den Kampagnen und bei der Verwendung der Mittel. Was das heißt? Siehe oben. Keine Tomaten haben die Jugendlichen von heute auf den Augen, wohl aber Kiwis …