: An Zusammenhänge erinnern
betr.: „Ein flotter Farbenwechsel. Friedrich Merz nimmt zur Rolle seines Ahnen Stellung“ von Christian Semler, taz vom 21. 1. 04
Christian Semlers Darstellung bedarf einer kleinen Ergänzung, die aber die im politischen Katholizismus jener Zeit dominierende Einstellung noch stärker beleuchtet.
Es ist richtig, die christlichen Gewerkschaften riefen zur Beteiligung an dem von den Nazis gekaperten 1. Mai auf. Das taten bekanntlich auch die sozialdemokratisch geführten „freien“ Gewerkschaften. Doch im Unterschied zu diesen wurden jene – die Nazis wollten ja noch das Geschäft mit dem Vatikan zwecks Abschluss eines Konkordats – erst einmal verschont. Im Gegenteil, sie erklärten sich sogar zur Mitarbeit in der Deutschen Arbeitsfront bereit. Erst Ende Juni wurde auch gegen die christlichen Gewerkschaften vorgegangen. Dies geschah nicht unwesentlich deshalb, weil die christliche Gewerkschaftsinternationale – die das Anpassungsverhalten ihrer deutschen Mitgliedsorganisation entschieden ablehnte – sich zusammen mit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsinternationale im Juni 1933 in der Internationalen Arbeitsorganisation gegen die Anerkennung der Nazi-„Arbeitsfront“ als legitime deutsche „Arbeitnehmervertretung“ stellte. Allerdings muss man auch klarstellen: Innerhalb der deutschen christlichen Gewerkschaften gab es eine Minderheit um Jakob Kaiser, die die Zusammenarbeit mit der „Arbeitsfront“ ablehnte.
Interessanterweise ist das Gebäude für die Bundestagsabgeordneten nach eben diesem Jakob Kaiser benannt. Jedes Mal, wenn Friedrich Merz dort hineingeht, sollte ihn das eigentlich an diese Zusammenhänge erinnern, daran, dass nicht alle damaligen Zentrumspolitiker auf die „nationale Revolution“ vertrauten. Doch so viel Geschichtsbewusstsein, ja, überhaupt Interesse an solcher Geschichte, an solchen Geschichten, wird man bei einem, dem bekanntlich schon linke Kneipen ein Dorn im Auge sind, wohl nicht erwarten.
REINER TOSSTORF, Frankfurt/Main
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