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Archiv-Artikel

„Ich mag die Offensivkünstler“

Die reguläre Eishockey-Saison beendeten die Eisbären Berlin auf Platz eins. Heute starten sie in die Play-offs. Ihr Trainer Pierre Pagé propagiert unterhaltendes Eishockey als Teil der Globalisierung, mehr Tempo – und den Angriff aufs Establishment

Interview MARKUS VÖLKER

taz: Herr Pagé, in den nächsten Wochen steht Ihnen eine besondere Aufgabe bevor!

Pierre Pagé: Was meinen Sie?

Sie können einen deutschen Meistertitel nach Berlin holen, während Hertha BSC chancenlos ist und bei Alba der Titelgewinn nicht mehr so sicher wie früher ist.

Ich hoffe, dass wir die anderen anstecken können mit unserem Siegvirus. Aber auch wir haben noch nichts gewonnen.

Haben Sie sich schon Spiele der Konkurrenz angesehen?

Ich war bei Hertha. Ich mag Fußball. Als ich in Kanada an einem College tätig war, arbeitete einer meiner besten Freunde als Fußballtrainer.

Sind die Eisbären auf dem Weg zur Nummer 1 der Stadt – was den Erfolg anbelangt?

Wir wollen die Nummer 1 in der Liga sein – Ende April nach den Play-offs. Es wäre schön, wenn wir dadurch ein reges Interesse für Eishockey in der Stadt wecken können.

Wie kann das funktionieren?

Eishockey ist weltweit auf dem Weg nach vorn. Es muss uns gelingen, eine Marke zu erschaffen. Wie Rolex bei den Uhren. Wir wollen eine Marke mit den Attributen: aufregend, schnell, risikoreich und unterhaltend.

Trifft das auf die Eisbären bereits zu?

Wir spielen extrem risikoreich. Und wir wollen noch mehr Spieler verpflichten, die so spektakulär spielen können. Wir müssen die DEL überzeugen, dass im schnellen Spiel die Zukunft liegt. Die meisten Teams spielen hierzulande zu langsam. Die Spielverschleppung muss ein Ende haben. Wir spielen zum Beispiel unser spezielles Torpedo-System, um die Fans zu begeistern. Das heißt: quicklebendiges, aufregendes Eishockey.

Wie schnell lässt sich das Etablierte umkrempeln?

Es ist wie in Ihrer alternativen Tageszeitung. Man muss das Establishment herausfordern. Sonst gibt es keinen Wandel. Es wird sicherlich dauern, drei bis vier Jahre vielleicht. Aber wir Eisbären haben es vorgemacht. Wir haben in nur einem Jahr unser Spiel beschleunigt.

War Ihnen nach der Ankunft im Wellblechpalast klar, wie viel Arbeit wartet?

(Lacht) Ich war einfach nur froh zu arbeiten. Ich wurde zweimal in meinem Leben gefeuert. Es heißt ja: Du bist kein richtiger Trainer, wenn du noch nicht rausgeschmissen wurdest. Ich habe sehr hart daran gearbeitet, einen neuen Job zu finden. Ich bin gereist, habe mich weitergebildet, mir selbst Mut gemacht. Ich bin an einem Donnerstag nach Berlin gekommen. Am Freitag hatten wir schon ein Spiel. Ich konnte mich gar nicht vorbereiten, aber das war egal. Ich war einfach nur glücklich, da zu sein.

Die Eisbären haben eine besondere Vergangenheit …

Erzählen Sie mir mehr davon.

Sie haben doch hoffentlich schon einen Crashkurs hinter sich?

Ja, ich habe eine Einführung bekommen: wo die Eisbären hergekommen sind und was es mit dem guten Teil und dem schlechten Teil der Vergangenheit auf sich hat. Geschichte wiederholt sich ja manchmal. Um zu verhindern, dass sich der schlechte Teil wiederholt, müssen wir die gesamte Geschichte kennen.

Wissen Sie, was es bedeutet, wenn die Fans im Wellblechpalast skandieren: „Dynamo, Dynamo“ und „Alle sind wir da, außer Erich Honecka“?

Ich weiß, was die meinen. Ich habe mich mit ihnen unterhalten. Sie sagen: Wir sind sehr stolz darauf, Ostdeutsche zu sein. Sie glauben das wohl, weil es nach der Wende hieß, alles in der DDR sei schlecht gewesen. Aber das kann so nicht stimmen. Auch nicht alles, was die Westdeutschen getan haben, mag richtig gewesen sein.

Haben Sie bemerkt, dass die Stadt noch nicht richtig zusammengewachsen ist?

Ja. Aber die Berliner sollten bedenken, dass nicht alles, was Leute für mies halten, mies ist. Und nicht alles, was Menschen anhimmeln, bewundernswert ist. Ich bin noch zu neu in der Stadt, doch eines weiß ich: Die Ost-West-Sache ist eine sehr heikle Angelegenheit.

Gerade die Eisbären-Fans hängen an der Vergangenheit.

Sie sollten die Vergangenheit überwinden. Wenn man in der Vergangenheit lebt, stirbt man. Wenn man sich nicht ändert, verkümmert man. Außerdem sollte Sport ohne Politik und Religion auskommen. Sport ist Unterhaltung, ein Fluchtpunkt aus der Realität.

Sehen Sie die Eisbären als Unterhaltungsbetrieb?

Ich würde die Eisbären sogar als Teil der Globalisierung ansehen. Dieser Prozess zwingt zu enormen Anpassungsprozessen. Man muss sich verändern, um der Gegenwart gerecht zu werden. Wandel ist hart, aber du musst ihn vollziehen, um nicht stehen zu bleiben.

Wie verändert Sie Berlin?

Ich weiß nicht, ich weiß nur, dass wir, die Eisbären, mithelfen können, eine neue Zukunft in Berlin zu schaffen.

Die wie aussieht?

Es geht um Visionen. Ich will die Eisbären nach vorn bringen. Alle im Verein. Und 2006 gibt es eine neue Halle am Ostbahnhof mit viel mehr Plätzen.

Fraglich ist, ob die Arena jemals voll wird.

Das ist alles eine Frage des Marketings und der Wirkung der Marke Eisbären Berlin. Man muss es nur angehen und für Motivation sorgen – bei der Presse, den Berlinern, den Kids, bei allen.

Berliner sind ein skeptisches Völkchen, wundern Sie sich manchmal über die Eigentümlichkeiten der Berliner?

Ein Typ hat mir mal im Auto eine Geste zugeworfen, die ich nicht verstanden habe. Er hat den Scheibenwischer gemacht, ich dachte, er will mich grüßen, und habe deswegen freundlich zurück gewunken. Danach dachte der, ich bin komplett verrückt. Deutsche sind sehr aggressive, energische Menschen. Deutsche üben gern Kontrolle aus.

Fühlen Sie sich in Berlin mehr denn je als Frankokanadier?

Eigentlich nicht. Ich fühle mich einfach wohl in Berlin. Die Stadt ist für mich, seit die Mauer gefallen ist, eine Stadt der Freiheit. Alle Welt kommt hierher, du kannst hier alles tun. Berlin ist sehr expressiv. Mehr als andere Städte, in denen ich war.

Was bedeutet das, „eine Stadt der Freiheit“?

Schauen Sie, der Großvater meiner Frau kam als 12-Jähriger von Schanghai nach New York. Er hat zuerst in Restaurants den Boden gewischt, Postkarten verkauft. Geschirr gewaschen. Dann ging er nach Kanada, hat ein Restaurant gekauft und noch eins. Er baute ein Hotel und so weiter. Das geht in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten. Diese Idee lebt. Irgendwie auch in Berlin.

Sie sind in Quebec aufgewachsen, welche Bedeutung hat Eishockey dort?

Es ist alles, eine Religion.

Wann haben Sie Eishockey spielen gelernt?

Mit fünf. Meine Eltern hatten zwar nicht viel Geld, aber sie konnten mich auf eine Privatschule schicken, wo ich wirklich gutes Hockey spielen konnte.

Haben Sie es bis zum Profi gebracht?

Ich war ein ganz guter Spieler, aber wohl nicht gut genug für die NHL, sodass es kein Fehler war, schon früh Trainer zu werden.

Als Trainer der Calgary Flames haben Sie 1997 über die Gilde der Verteidiger einmal gesagt: „Sie sind Künstler, sie spielen anders, Künstler zeichnen nicht den Ozean, wenn er zu stürmisch ist, sie malen nicht den Himmel, wenn er nicht in den richtigen Farben liegt. Während sie zeichnen, hauen du und ich Nägel ein.“

Hab ich das gesagt? Aber tatsächlich, es ist die größte Herausforderung für einen Trainer, mit Künstlern zu arbeiten. Künstlern muss man nicht sagen, was zu tun ist. Sie wissen, welches Motiv oder welche Farben sie zu wählen haben. Meine Aufgabe ist es, dem Künstler zu sagen, dass er Teil der Mannschaft ist und sein Talent der Gemeinschaft zur Verfügung stellen muss. Er muss Künstler und Teamspieler sein.

Wie viele Künstler stehen im Kader der Eisbären?

Sehr viele in diesem Jahr (lacht). Es ist besser, viele zu haben.

Trotz der Schwierigkeiten?

Ich mag Künstler. Vor allem die Offensivkünstler. Ich war selbst ein Stürmer. Ich will Leute, die was draufhaben.

Was passiert mit uneinsichtigen Spielern?

Wer keinen Willen zeigt, an sich zu arbeiten, muss gehen. Raus mit dem.

Weil es der Marke schadet?

Wenn man in einem Restaurant ein schlechtes Essen serviert, gibt das der Gast an acht Leute weiter, von einem leckeren Essen erzählt er nur vier Leuten. Das heißt, wir dürfen nicht zu viele schlechte Mahlzeiten auftischen. So einfach ist das.