piwik no script img

Archiv-Artikel

Ländersozis halten Rot-Rot warm

Hat Ypsilantis Scheitern rot-rote Varianten auch anderswo weggefegt? Sozialdemokraten in anderen Bundesländern halten sich die Option offen

VON GEORG LÖWISCH UND ANDREAS WYPUTTA

Sie saßen vor dem Fernseher und schauten sich an, wie eine Art Kernschmelze aussieht. Als am Montagmittag in Wiesbaden die vier hessischen SPD-Abweichler vor die Kameras traten, starrten Sozialdemokraten in anderen Landeshauptstädten auf ihre Bildschirme. „Ich habe gedacht: Gott sei Dank ist das nicht bei uns“, sagt ein Funktionär.

Was sich am Montag in sicherer Entfernung abspielte, will kein SPD-Funktionär bei sich zu Hause haben. Aber die rot-rote Option wollen sie sich auch nicht nehmen lassen, wie Nachfragen der taz bei SPD-Landesverbänden ergeben.

Lässt man Neuwahlen in Hessen beiseite, werden 2009 und 2010 in sechs Ländern die Parlamente neu gewählt. In allen sechs Ländern ist die Linke schon im Landtag – oder hat gute Chancen, es zu schaffen.

In Schleswig-Holstein will SPD-Spitzenkandidat Ralf Stegner im Frühjahr 2010 unbedingt Ministerpräsident Peter Harry Carstensen von der CDU ablösen. „Der Wähler entscheidet. Und notfalls muss man auch mit der Linken reden – oder eine große Koalition machen können“, sagt Stegner (siehe Interview).

Sozialdemokraten wie Stegner setzen darauf, gegebenenfalls von parteiinternem Streit über Rot-Rot verschont zu bleiben: Wer vor der Wahl kein Anti-Rot-Rot-Versprechen gibt wie Andrea Ypsilanti, der hält sich eine Glaubwürdigkeitsdebatte vom Hals. Im Saarland tritt SPD-Chef Heiko Maas schon nächsten Herbst gegen die Linke an. „Wir haben hier eine andere Ausgangssituation, weil wir keine Koalition ausschließen“, sagt Maas’ Sprecher. „Hessische Verhältnisse gibt es nur in Hessen. Für uns bleiben alle Optionen offen.“ Auch in Thüringen wird nächstes Jahr gewählt. Der dortige SPD-Geschäftsführer Jochen Staschewski sagt, in seinem Landesverband sei die Rot-Rot-Debatte bereits sehr früh geführt worden. „Wir haben den Sack zugeschnürt, so dass wir weiter auch diese Option haben.“

Auch in Nordrhein-Westfalen schwört die SPD nicht ab – formuliert aber vorsichtiger. „Wir suchen die Auseinandersetzung, nicht die Zusammenarbeit“, sagt SPD-Chefin Hannelore Kraft immer noch. „Unser Ziel bleibt, die Linkspartei aus dem Landtag herauszuhalten.“ Im größten Bundesland wird 2010 gewählt. Die Sozialdemokraten liegen laut einer Infratest-Umfrage von Mitte Oktober bei 30 Prozent, die Grünen bei 10. Allein würde Rot-Grün es demnach nicht schaffen, wohl aber mit einer bei 9 Prozent rangierenden Linken. Doch Kraft will möglichst wenig Angriffsfläche für NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und seine CDU bieten, deren Rote-Socken-Kampagne schon munter läuft. Die Oppositionsführerin steht auch unter Druck des rechten Parteiflügels in ihrem Landesverband: So stärkte der in Bonn lebende Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement den hessischen Abweichlern am Dienstag den Rücken. Kraft müsse zur Konfrontation mit „Betonköpfen à la Clement bereit“ sein, sagt Grünen-Chefin Daniela Schneckenburger. „Die SPD muss sich jetzt mit der Realität einer Fünfparteienlandschaft auseinandersetzen.“

SPD und Grüne halten sich die Optionen offen – unterdessen sieht Bodo Ramolow die Chancen für rot-rote Bündnisse in den Ländern geschmälert. Ramelow ist Vizechef der Linksfraktion im Bundestag. „Ein Politikwechsel ist unwahrscheinlicher geworden“, sagt er. Die SPD habe bewiesen, dass sie aus zwei Parteien bestehe. „Die eine Seite versucht, der anderen die Beine wegzuhauen. Das freut mich nicht.“ Er halte es für wahrscheinlich, dass künftig vielerorts ein Durchwurschteln in CDU-SPD-Koalitionen herauskomme.

Ramelow ist auch Spitzenkandidat seiner Partei. „Ministerpräsident für Thüringen“, lautet sein Werbespruch. Das könnte sein Problem werden. Zwar finden viele in der Thüringer SPD Rot-Rot in Ordnung. Einen Ministerpräsidenten Ramelow aber nicht. Ähnlich sieht es im Saarland aus. Der Spitzenkandidat heißt dort Oskar Lafontaine.