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Archiv-Artikel

Der Ödipale

Noch nie hat sich ein US-Präsident einer so einheitlichen Ablehnung gegenübergesehen Der Aufstieg eines Barack Obama ist ohne die Amtszeit Bush nicht zu erklären

AUS WASHINGTON BERND PICKERT

Das ist heute nicht sein Tag. Aber irgendwie doch. Dass die US-Präsidentschaftswahl 2008 schon Monate vor dem eigentlichen Wahltag als „historisch“ eingestuft wurde, hat auch etwas mit ihm zu tun. Mit der Erbschaft dieser Präsidentschaft der Superlative, die am 20. Januar endlich zu Ende geht. George W. Bush war kurz nach dem 11. September 2001 der beliebteste Präsident der US-Geschichte, am Schluss seiner Amtszeit der unbeliebteste und nach Einschätzung von 109 befragten US-Historikern vom April dieses Jahres der schlechteste Präsident aller Zeiten.

Bush hat Emotionen geweckt. Noch nie hat sich ein US-Präsident auf der ganzen Welt einer so einheitlichen Ablehnung gegenübergesehen. Ronald Reagan, der in den 80er-Jahren mit Contra-Finanzierung, Hochrüstung und SDI ein prima Feindbild für die Friedensbewegung und die Linke abgab, war wenigstens im bürgerlichen Lager der westlichen Gesellschaften beliebt. Er gilt heute in den USA als Bezwinger des Kommunismus, als ganz großer Präsident. Über Bush hingegen, der einst so besorgt um das Bild war, das er in den Geschichtsbüchern hinterlassen würde, gibt es in den USA heute zwei wesentliche Erzählstränge. So richtig gut sind sie für ihn beide nicht.

Die eine Erzählung ist die, die auch Oliver Stone in seinem vor ein paar Wochen angelaufenen misslungenen Porträtfilm „W“ in den Mittelpunkt gestellt hat. Bush, der Trinker, das schwarze Schaf der Familie, der stets darunter leidet, dass sein übermächtiger Vater George H. W. Bush den strebsameren Bruder Jeb bevorzugt, kämpft um Rehabilitierung. Eine politische Karriere als Ödipaltherapie. Erst in der Midlifecrisis angekommen, lässt Bush vom Alkohol ab, erklärt sich mit Hilfe eines Predigers zum wiedergeborenen Christen und nutzt seinen Namen, um – wiederum gegen den Willen des Vaters, der nicht an ihn glaubt – Gouverneur von Texas zu werden.

Aus Empörung darüber, dass Bush Senior 1991 den Krieg gegen Saddam Hussein nicht zu Ende bringt (und ein Jahr später schmählich die Wahlen gegen Bill Clinton verliert), und um seinem ambitionierten Bruder wiederum eins auszuwischen, bewirbt sich Bush für die Wahlen 2000 um die Präsidentschaft. Der Irakkrieg, den er 2003 willentlich vom Zaun bricht, dient der Satisfaktion: Der Tag, an dem sich Bush nach Ende der erfolgreichen Invasion in Bomberuniform unter dem Banner „Mission accomplished“ auf dem US-Flugzeugträger „Lincoln“ zeigt und das „Ende der wesentlichen Kriegshandlungen“ verkündet, ist sein Schlüsselmoment. „Jede Geste des Präsidenten an diesem Tag zeigte sein Gefühl der persönlichen und nationalen Rehabilitierung. Bei der Mission, die er erfüllt zu haben glaubte, ging es nicht nur darum, Saddam Hussein zu bezwingen, sondern darum, den Schatten seines Vaters zu überwinden“, schreibt Bush-Biograf Jacob Weisberg in seinem Buch „The Bush tragedy“.

Alles, was nach diesem persönlichen und politischen Triumph über den Vater kommt, ist nach dieser Erzählung die zur Tragödie gekehrte Folge, über die der seinen psychologischen Defiziten hilflos ausgelieferte Protagonist jede Kontrolle verliert. Mit der republikanischen Niederlage bei den Kongresswahlen 2006 sieht sich Bush gezwungen, Teile der Administration seines Vaters wieder ins Boot zu holen – das eigentliche Scheitern. Seine Beliebtheit sinkt ins Bodenlose, die Republikaner, die sein Chefstratege Karl Rove und er zur Jahrzehnte anhaltenden politischen und kulturellen Hegemonie hatten führen wollen, stehen Jahrhundertverlusten gegenüber. Ein Albtraum, den Bush nicht erklären kann. Bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus 2007 gefragt, was er für die größten Fehler seiner Amtszeit hält, fällt ihm nach minutenlangem Gestammel nichts ein.

„Präsident zu sein“, schreibt Jacob Weisberg, „ging über Bushs Fähigkeiten in einem Maße hinaus, das er nicht begriffen hat. Er hätte niemals die Chance dazu bekommen dürfen, und ich gebe dafür mehr jenen die Schuld, die ihm diese Möglichkeit eröffnet haben, als ihm selbst dafür, es versucht zu haben.“ Man mag diese psychologisierende Erzählung teilen oder nicht – um zu erklären, wie und warum Bushs Präsidentschaft in den letzten acht Jahren die USA verändert hat, ist sie zumindest unzureichend. Wenn Bush selbst gar nicht in der Lage war, komplexe Politik zu formulieren, wer denn dann? Hier kommt die zweite Erzählung Bush.

Noch in der Clinton-Ära hatten innerhalb der Republikanischen Partei konservative Kräfte immer mehr an Einfluss gewonnen. Zwar konnten die Republikaner – zumal mit dem schwachen Kandidaten Bob Dole – dem populären Präsidenten Bill Clinton 1996 die Wiederwahl nicht nehmen. Doch schon 1994, zwei Jahre nach Clintons Amtsantritt, hatten sie bei den Kongresswahlen die Kontrolle des Kongresses übernommen. Gut ein Viertel der Wähler identifizierten sich selbst als wiedergeborene bzw. evangelikale Christen, jeder dritte als konservativ-religiös – ein Potenzial, das in jahrelanger Aufbauarbeit von unten als republikanische Basis geschaffen und politisch mobilisiert worden war. Im gleichen Jahr 1994, als der neue republikanische Mehrheitsführer Newt Gingrich die „republikanische Revolution“ ausrief, entthronte in Texas George W. Bush die demokratische Gouverneurin Ann Richards. Es war der erste schmutzig geführte Wahlkampf des neuen Teams George W. Bush und seines Chefstrategen Karl Rove.

Nach erfolgreicher Wiederwahl 1998 – jenem Jahr, in dem die Republikaner in Washington mit ihrem Kettenhund Kenneth Starr an der Spitze die Amtsenthebung Bill Clintons wegen der Lewinsky-Affäre betrieben – wagte Bush für die 2000er Wahlen die Präsidentschaftskandidatur. Bushs Wahlkampf basierte auf dem Versprechen von „mitfühlendem Konservativismus“ – und Steuererleichterungen für die Besserverdienenden. Sein wichtigster innerparteilicher Gegner: John McCain. Es war wiederum Karl Rove, der Bushs Wahlkampf leitete. McCain, der große Sympathie in der US-Presse genoss, hatte die ersten Vorwahlen in New Hampshire gewinnen können, als wie aus heiterem Himmel eine Welle anonymer Anrufer die WählerInnen des nächsten wichtigen Bundesstaates South Carolina erreichte. Wie sie es denn fänden, wurden sie gefragt, dass McCain der heimliche Vater eines schwarzen Kindes sei? Das war natürlich gelogen – gemeint war Bridget, die aus Bangladesch stammende Adoptivtochter Cindy und John McCains. Doch der Schmutzwahlkampf gelang. McCain verlor South Carolina und konnte nur noch sechs weitere Bundesstaaten für sich entscheiden, Bush wurde Kandidat. Karl Rove bestreitet bis heute, mit den Anrufen etwas zu tun zu haben. Niemand glaubt ihm das.

Tatsächlich aber war Bush mit seiner doppelten Botschaft der ideale Kandidat: Selbst wiedergeborener Christ – eine im konservativen Amerika akzeptable und respektierte Entschuldigung seines überwundenen Alkoholismus – konnte Bush die immer stärker werdende religiöse Rechte an sich binden und an die Wahlurnen bringen. Und seine Steuerversprechen sicherten ihm die Unterstützung der Oberschicht. Es mag wohl auch die Arroganz der Macht des Vizepräsidenten Al Gore gewesen sein, die falsche liberale Rezeption des Newcomers Bush als ungebildete Witzfigur und die Schwierigkeiten Gores, sich von Präsident Clinton auf Distanz zu bringen, die dazu führten, dass Bush bei diesen Wahlen überhaupt eine Chance hatte. Bei den Fernsehdebatten überrannte Gore den unbeholfen und tapsig daherkommenden Bush mit Fachwissen und Unmengen an Daten – Bush allerdings glänzte bei Wahlveranstaltungen als charmanter Kommunikator, der seine jungenhafte Unwissenheit zur Tugend gegen die Klüngelwirtschaft in Washington stilisierte und auch damals schon eine Fähigkeit zur Selbstironie unter Beweis stellte, die gut ankam.

Bis heute bescheinigen ihm enge Mitarbeiter Humor und Menschlichkeit im persönlichen Umgang. Gewinnen allerdings konnte Bush die Wahlen letztlich nur durch Wahlbetrug. In einem Kopf-an-Kopf-Rennen blieb am Wahlabend nach verschiedenen verfrühten Siegesmeldungen der TV-Stationen nur noch der Bundesstaat Florida offen. Die maroden Stanzmaschinen, mit denen dort gewählt wurde, hatten etliche fragwürdige Ergebnisse produziert, und erst nachdem mit Hilfe Jeb Bushs – damals Gouverneur von Florida – und des Obersten Gerichtshofes die Nachzählung abgebrochen worden war, wurde Bush zum Präsidenten erklärt. Er hatte nicht nur das „popular vote“ verloren, also insgesamt weniger Stimmen erhalten als Al Gore, sondern, wie spätere Nachzählungen ergaben, eigentlich den Bundesstaat Florida. Bushs Präsidentschaft beruhte auf einer „gestohlenen Wahl“ – und dieses Trauma von 2000 ist nicht verheilt.

Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 erhielt seine Präsidentschaft ihr Thema, den „Krieg gegen den Terror“ – und was daraus folgte, ließ sich trefflich mit dem verbinden, was die neokonservativen Vordenker des „Project for a new american century“ seit 1997 erdacht und im September 2000, also ein Jahr vor den Anschlägen, aufgeschrieben hatten. Sie hatten insbesondere eine drastische Erhöhung des Militäretats gefordert, um die weltweite militärische Präsenz und Überlegenheit der USA auf Jahrzehnte zu sichern. Allerdings, so hatten sie geschrieben, werde der Transformationsprozess vermutlich sehr lange dauern, „außer es käme zu einem katastrophalen und katalytischen Moment – wie einem neuen Pearl Harbor“. So ein Moment war der 11. September – und es ist kein Wunder, dass die Gemeinde jener, die 9/11 auch sieben Jahre später für einen „hausgemachten“ Anschlag halten, nicht kleiner geworden ist.

Afghanistankrieg, Irakkrieg, Patriot Act, Guantánamo, Abu Ghraib, geheime CIA-Gefängnisse – das sind die Begriffe, die Bushs Präsidentschaft nach 9/11 geprägt haben. Innenpolitisch ist der Haushaltsüberschuss der Clinton-Jahre in ein Rekorddefizit verwandelt. Die wichtigsten Reformthemen, insbesondere die Gesundheitsreform, sind genauso liegengeblieben wie eine veränderte Energiepolitik. Stattdessen: ein kultureller Schwenk des Landes nach rechts, unterstützt durch eine Regierung, die staatliche Sozialprogramme über religiöse Organisationen abwickeln ließ. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die mit dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes begann und Zehntausende in die Zwangsversteigerungen getrieben und aus ihren Häusern geworfen hat, die Zeltstädte, die daraus entstanden sind, sind die bildhaftesten Ausdrücke der kriselnden Mittelschicht.

Die US-Amerikaner sind verunsichert. Dabei haben ja nicht alle verloren, im Gegenteil: In nahezu entwaffnend offener Weise haben Bush und insbesondere Vizepräsident Dick Cheney – der mächtigste zweite Mann in der Geschichte der USA – ihre eigenen Günstlinge profitieren lassen. Cheneys ehemaliges Unternehmen Halliburton etwa hat durch den Irakkrieg Milliarden verdient. Wie der gesamte militärisch-industrielle Komplex der USA ist das Unternehmen allen Krisen entronnen.

Immerhin ein Gutes bleibt an der Ära Bush: Sie war ein Weckruf. Der radikale Versuch, zentrale Werte des US-amerikanischen Selbstverständnisses vollständig umzudefinieren, kann als gescheitert gelten. Bush hat dafür gesorgt, dass die USA wieder über sich selbst nachdenken. Der Aufstieg eines Barack Obama ist ohne die Amtszeit Bush nicht zu erklären. Die vielen hunderttausend Toten des Irakkrieges macht das nicht wieder lebendig. Aber es gibt immerhin die Chance, dass der Tief- zu einem Wendepunkt wird. Das wäre doch was für die Geschichtsbücher.