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Archiv-Artikel

Willkommen in der Rummy-Show

Neben dem Paramilitärischen sollte ein weiterer Begriff eingeführt werden: der des Parakulturellen. Kriegerische Entertainer wie Donald Rumsfeld inszenieren Krieg wie ein Theaterstück. Das Militärische wird kulturalisiert, seine Realität ausgeblendet

Das Begehren nach starken Bildern öffnet der Option Kriegein EinfallstorDie Medien-Performance von Donald Rumsfeld hat Unterhaltungswert

von TOM HOLERT

Gibt Donald Rumsfeld eine seiner vielen Pressekonferenzen, stellen sich die Kameraleute inzwischen gern seitlich des Rednerpultes auf. So können sie den ganzen Ablauf zeigen: Wie der „Warlord aus dem Pentagon“ (Time) elastisch ans Mikrofon springt, die Beine in Cowboymanier anwinkelt und unnachahmlich locker die Hose zurechtschüttelt, bevor er schließlich das Wort ergreift. Was wird der irre „Rummy“ heute zum Besten geben? Eine neue Verbalattacke auf die Alteuropäer vielleicht? Eine spritzige Verächtlichkeit an die Adresse von Kriegsgegnern?

Auch die schärfsten Kritiker können sich diesen Demonstrationen der Souveränität nicht entziehen. Denn bei Rumsfeld ist die Grenze zur Groteske aufgehoben. Der Mann, vor dem schon ein evil doer wie Henry Kissinger zitterte, füttert das kulturelle Imaginäre mit seiner Erscheinung, indem er den leeren Platz des bösen Guten (oder guten Bösen) einnimmt. Seine Unberechenbarkeit ist so beeindruckend und unterhaltsam, so furchteinflößend und ehrfurchtgebietend, weil er absolut keinen Hehl aus ihr macht. Es mag weiterhin schall- und sichtdichte Geheimkabinette im Weißen Haus oder im Pentagon geben, wo Think-Tanks ihre Masterpläne ausbrüten. Aber Rumsfeld verkörpert diese Masterpläne, übersetzt die arkanen Strategeme in ein Schauspiel der Eindeutigkeiten mitsamt überraschender Wendungen.

Die Rummy-Show ist Bestandteil einer Inszenierung der Kriegsvorbereitungen als Theaterstück in unzähligen Szenen und Aufzügen. Ob Powells multimediale Beweisperformance vor der UN oder Saddam Husseins phantomale Präsenz im irakischen Revolutionsrat, ob Bin Ladens Homevideo-Depeschen oder Chiracs schaufelnde Armbewegungen – Politik wird fortwährend in Bühnensituationen überführt. Unter den Bedingungen des „War on Terrorism“ gewinnen diese Übergänge vom Politischen zum Kulturellen eine neue kritische Bedeutung.

Mit der Spektakularisierung des Krieges, wie sie sich derzeit unter anderem in den theatralischen Performances der Medienpolitiker oder in der militärischen Produktion des monumentalen Historienfilms am Golf zeigt, werden nach Belieben die ästhetischen Potenziale des Ausnahmezustands ausgeschöpft und ausgebaut. Zwischen politischen, ökonomischen, militärischen und kulturellen Praktiken senkt man systematisch die Schwellen ab. Der „Krieg der Bilder“, von dem seit Jahren so viel die Rede ist, ist auch deshalb eine so eingängige Metapher, weil inzwischen Kultur, oder wie der Theoretiker Arjun Appadurai sagt: „Imagination“, im Mittelpunkt jeden Bemühens um Handlungsfähigkeit steht.

Die damit einhergehende Derealisierung der Wirklichkeit hat unterschiedliche Konsequenzen: Die schleichende Auflösung der Politik in Kultur wertet die Option der politischen Intervention ab, während zugleich negative Vorstellungen von Politik (ineffizient, bürokratisch, zeitraubend, korrupt usw.) aufgewertet werden. Im Gegenzug öffnet das kulturindustriell geförderte Begehren nach starken Bildern und überzeugenden Protagonisten, die aufgrund ihrer Eindrucksmächtigkeit eine Teilhabe am historischen Prozess suggerieren, der Option Krieg ein breites Einfallstor.

Dieser „Krieg“ muss allerdings in mancher Hinsicht phantasmatisch bleiben, um seine volle Wirkung entfalten zu können. Die unmittelbare Berührung mit der materiellen Realität des Krieges wäre bloß störend bei der Konstruktion des kulturellen Schlachtfelds. Deshalb werden all die Euphemismen von „Drohkulisse“, „Prävention“, „Maßnahme“ bis „Befreiung“ aufgeboten, garniert mit glamourösen Fernsehreportagen von Flugzeugträgern und Wüstencamps: Der Krieg soll sich möglichst ausschließlich in der Imagination ereignen, denn eingeschlossen in den Hirnen des Publikums bleibt seine imaginative Macht kontrollierbar und beobachtbar.

Die Fiktionalisierung trennt den Krieg vom Politischen und macht ihn zu einem „rein kulturellen Phänomen“, wie der Philosoph Boris Buden anlässlich des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien schrieb. Diese Kulturalisierung der Politik und des Krieges bringt nun gesellschaftliche Akteure hervor, die man – analog zu den paramilitärischen Einheiten der „neuen“, entstaatlichten Kriege – parakulturell nennen kann. Sie streifen in parakulturellen Einheiten umher, deren Vorgehen dadurch gekennzeichnet ist, dass es die Systemgrenzen zwischen Kultur, Politik, Militär, Wirtschaft usw. prinzipiell missachtet. Diese Parakulturalität schafft einen illegitimen und instabilen Raum, in dem auf mitunter brisante, mitunter ganz unscheinbar-klandestine Weise die Beziehungen zwischen den traditionellen Bezugssystemen neu ausgehandelt werden.

Wieder kann Donald Rumsfeld als Beispiel dienen. Denn der US-Verteidigungsminister, eigentlich der ultimative staatliche Akteur, ist bei aller Holzschnittartigkeit seines Auftretens dann doch eine eher verwirrende Grenzfigur. „The Radical at the Pentagon“ (Vanity Fair) posiert als freigeistiger Hardliner mit Visionen und einem Instinkt für die Funktionsweise kultureller Prozesse. Mit sich selbst hat er ein Meta-Feindbild für die weltweiten Antikriegsaktivisten geschaffen. Unerlässlich setzt er auf Konfrontation und Antagonismus, weil er genau weiß, wie sehr die US-amerikanische Politik auf schlichte, bipolare Narrative angewiesen ist. Zugleich gibt er sich als ein glühender Anhänger der gerade untergegangenen New Economy und ihrer Theologie von Flexibilität, Mobilität oder Kontingenz zu erkennen.

Mit seinen Ideen eines rigoros deregulierten und entgrenzten Kriegs gegen den Terror treibt Rumsfeld sogar die eigenen Militärs zur Weißglut. In Fernsehinterviews und Zeitschriftenartikeln drängt er darauf, eine „Kultur der Kreativität und der intelligenten Risikobereitschaft“ in den Streitkräften und im Verteidigungsministerium voranzutreiben. Man müsse einen „unternehmerischen“ Ansatz entwickeln, nicht als Bürokrat, sondern als militarisierter Risikokapitalist agieren, um in konsequenter Vorwegnahme des Unerwarteten jede „Überraschung“ zu vermeiden. Kein Wunder, dass sich Rumsfeld besonders für die „unbekannten Unbekannten“ zukünftiger Szenarien interessiert.

„Natürlich kann man sowohl ein Soldat sein als auch ein großer Entertainer“, sagt Leggy Starlitz, die Hauptfigur von „Zeitgeist“, dem 2000 erschienenen Roman von Bruce Sterling. Es ist das Credo eines parakulturellen Akteurs, wie es auch Rumsfeld gut zu Gesicht stehen würde. Leggy Starlitz ist Manager von G7, einer Girlgroup, in der jedes Mitglied einen der G7-Mitgliedsstaaten repräsentiert. Der Erfolg dieses Billigpop à la Spice Girls trägt die Kultur der sieben (inzwischen acht) großen Industrienationen um den Globus. Sterling, der Anfang der 1990er-Jahre als Erster vom „Military-Entertainment Complex“ gesprochen hatte, erzählt, wie das G7-Pop-Marketing-Konzept die Aufmerksamkeit eines türkischen Mafia-Unternehmers mit Geheimdienstvergangenheit erweckt. Unter Einsatz seiner paramilitärischen Miliz „übernimmt“ dieser smarte kulturelle Krieger die Gruppe. Nach und nach werden alle G7-Frauen gegen Repräsentantinnen jenes Absatzmarktes ausgetauscht, für den er sich interessiert: überwiegend islamische Länder wie die Türkei oder ehemalige Sowjetrepubliken wie Georgien, die Ukraine, Tadschikistan oder Usbekistan.

Bruce Sterlings satirische Schilderungen solcher Verschränkungen von militärischen, ökonomischen und kulturellen Kriegen tendieren zur Bizarrerie. Doch seine Diagnose, dass parakulturelle Akteure wie der türkische Kulturkriegsunternehmer sich mehr und mehr ausbreiten, könnte zutreffen. Mit großer Selbstverständlichkeit mischen die staatlichen und nichtstaatlichen Risikounternehmer die Methoden und Diskurse; durchaus „realistisch“ wollen sie zwischen Gewalt und Kultur keinen Unterschied mehr erkennen, aber stattdessen beides zweckgerichtet einsetzen, um Ziele im unbekannten Unbekannten zu erreichen.

Ein unfreiwilliger Vordenker der parakulturellen Formation ist der Philosoph Antonio Gramsci: „Der Überbau der bürgerlichen Gesellschaft ist wie das Grabensystem im modernen Krieg“, schrieb er 1934 im Gefängnis der Faschisten und kombinierte militärisch-strategische Überlegungen mit einer Theorie der kulturellen Hegemonie. Gramsci empfahl, gründlich zu studieren, welches die Elemente der bürgerlichen Gesellschaft sind, die den Verteidigungssystemen im „Stellungskrieg“ entsprechen, um auch den „Bewegungskrieg“ und den „Untergrundkrieg“ ins Kalkül zu ziehen. Sein politisches Interesse galt dem „Kampf für eine neue Kultur“.

Anders als Gramsci streben die parakulturellen Akteure keine ökonomische Umverteilung im Sinne sozialer Gerechtigkeit an. Sie favorisieren die optimale Synthese von militärischen und kulturellen Mitteln – zur Durchsetzung ökonomisch-strategischer Interessen bei gleichzeitiger Aufhebung der Politik. Eine effektive Kritik der parakulturellen Formation muss diese Verstrickung immer wieder aufs Neue thematisieren, ohne zurückzufallen in das Denken einer etwaigen autonomen Kultur.

So könnte die Analyse des unbestreitbaren Unterhaltungswerts der Medien-Performance von Donald Rumsfeld lehren, sich der Logik des Parakulturellen zu widersetzen: Sowohl die Militarisierung des Kulturellen als auch die Kulturalisierung des Militärischen sind ja deshalb so unerträglich, weil mit ihrer Hilfe die Abschaffung politischer Interventionsräume vollstreckt wird. Jeder „kulturelle Widerstand“ (Wallerstein) gegen diese Destruktion der politischen Öffentlichkeit birgt allerdings wiederum die Gefahr, im Namen eines „way of life“ oder eines Lifestyle aufzutreten, der parakulturellen Manipulationen offensteht.

Bleibt die Frage: Wohin mit der Kultur?