Im Internet outen – verboten?

Das linke Internetportal nadir.org wehrt sich gegen eine Unterlassungsklage aus dem Haus des Medienrechtlers Prinz.Dem Renommierprojekt für „unabhängige Gegeninformationen“ geht es ums Prinzip. Verliert nadir, droht das finanzielle Aus

von HEIKE KLEFFNER

Fünf Jahre lang stand der Artikel über rechte Burschenschaften in Niedersachsen unbemerkt auf der Website des linken Internetportals nadir e.V. Gestern war der von nadir dokumentierte Bericht nun Gegenstand eines Zivilprozesses vor dem Landgericht Berlin. Denn der Leiter der Personalabteilung des weltweit agierenden Frankfurter Chemie- und Anlagebaukonzerns MG Technologies AG, Jost Berstermann, fühlt sich durch nadir e.V. in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und klagt auf Unterlassung.

Die Autoren der fiktiven Burschenschaft „Anarchia Randalia“ hatten Berstermann fünf Zeilen gewidmet. Der Anlass: die 125- Jahr-Feier der schlagenden Landsmannschaft Marchia Berlin in Osnabrück im Oktober 1997. Berstermann hatte die Festrede gehalten, anschließend wurden „einmütig alle drei Strophen des Deutschlandliedes gesungen“, wie das Osnabrücker Stadtblatt damals vermerkte. Die Stadtillustrierte hatte zudem berichtet, Berstermann sei 1982 im Bundesvorstand der Jungen Nationaldemokraten und 1988 zweiter Kreisvorsitzender der Osnabrücker „Republikaner“ gewesen. Berstermann habe den Artikel juristisch nicht beanstandet, erinnert sich Andreas Bekemeier vom Stadtblatt.

Heute jedoch möchte Berstermann seinen Namen nicht mehr im Zusammenhang mit der Jugendorganisation der NPD veröffentlicht wissen. Sein Rechtsanwalt Dirk Dünnwald aus der Kanzlei des prominenten Hamburger Medienrechtsanwalts Matthias Prinz ließ das Landgericht Berlin wissen, der von nadir dokumentierte Bericht enthalte Behauptungen über seinen Mandanten, „die unabhängig von ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit“ nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien und diesen in seinen Persönlichkeitsrechten verletzten. Zudem bestreite Berstermann, jemals Mitglied der JN gewesen zu sein.

Für nadir e.V. geht es ums Prinzip und um 20.000 Euro. So legte der Verein dem Gericht unter anderem ein Foto aus der NPD-eigenen Dokumentation „Alles Große steht im Sturm“ vor, das Berstermann 1982 an der Spitze einer JN-Demonstration in Osnabrück zeigt, sowie einen namentlich gezeichneten Artikel in der Postille des NPD-Hochschulverbandes NHB und mehrere Veröffentlichungen der NPD Niedersachsen. Alles nur „Jugendsünden“, wie der Vorsitzende der 27. Kammer des Landgerichts zu Prozessbeginn anmerkte? Für Sönke Hillebrandt, Anwalt von nadir e.V., hat der Prozess Signalcharakter. Schließlich gehe es auch darum, dass das Internetportal „öffentliche Interessen wahrnehme, indem es in seinem Archiv Artikel aus Publikationen zur Verfügung stelle, die andernorts längst vergriffen sind“. Darüber hinaus sei Berstermann Personalleiter in einem ehemals zwangsarisierten Betrieb. Zudem habe sich Berstermann als Festredner in Osnabrück und durch namentlich gekennzeichnete Leserbriefe in den ultrakonservativen Blättern des Coburger Convent selbst ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Eine Entscheidung wollte das Gericht gestern noch nicht verkünden.