: interview
„Es zählt die Rendite“
taz: Wie definieren Sie als Juristin „systematische Entmietung“?
Karen Söffge: Es ist kein juristischer Tatbestand. Wenn man Mieter mit Gerichtsverfahren überzieht, bis sie physisch und psychisch zermürbt sind, grenzt das an Nötigung, vielleicht an Körperverletzung.
Warum häufen sich solche Fälle gerade in den letzten Jahren?
Mit der Mietrechtsreform vom September 2001 ist es für Vermieter noch leichter geworden, Modernisierungskosten auf die Miete umzulegen. Bei den Investoren herrscht Goldgräberstimmung. Die kaufen alte Häuser mit niedrigen Mieten, modernisieren und treiben die Mieten so in die Höhe, dass es sich viele der alteingesessenen Mieter nicht mehr leisten können. Ich hatte hier in München Fälle, wo die Miete von 300 auf 750 Euro hochgehen sollte.
Diese Vorgehensweise ist aber nicht neu.
Das Problem ist, dass es bald nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist. Diese Hauseigentümer besitzen im Gegensatz zu früher überhaupt nicht mehr die Mentalität eines Vermieters. Von einer gewissen Fürsorgepflicht haben die noch nie gehört. Für die zählt nur noch Rendite. Die Mieter sind keine Menschen mehr, sondern ein Hindernis. Schließlich kann man den günstigen Wohnraum für eine ganze Familie nach deren Auszug ja scheibchenweise an zahlungskräftige Singles vermieten. Durch diese aggressive Modernisierung wird massenhaft preiswerter Wohnraum in Städten vernichtet.
Wie kann man sich als Mieter wehren?
Es ist gut, wenn man eine Rechtsschutzversicherung hat. Und es hilft, eine starke Mietergemeinschaft zu sein. Wenn die zusammenhalten, muss der Vermieter – mit ungewissem Ausgang – durch zwei Instanzen. Das dauert leicht ein Jahr, in dem er keinen Gewinn macht. Am Ende gelangen wir dann meist zu einer Einigung, da gewinnen beide Seiten.
Wie beurteilen Sie, dass Mietrichter in München gegen Honorar Vorträge bei einem Anwalt halten und anschließend Verfahren leiten, in denen dieser Anwalt einen Vermieter vertritt?
Im Hinblick auf die Unparteilichkeit halte ich das für sehr problematisch. Die Besorgnis der Befangenheit ist einfach nicht wegzuwischen.INTERVIEW: BERG
KAREN SÖFFGE ist Rechtsanwältin und stellvertretende Geschäftsführerin des Münchner Mietervereins