Die Macht des Fetischs

Zum Tode Helmut Newtons: Wer in seinen Bildern Bekenntnisse erwartet statt höchst kunstvoll inszenierter Bagatellen, muss irre sein. Und wer die Wurzeln sucht, muss irre gehen. Kein Grund, ihn nicht zu preisen – im Gegenteil

VON BRIGITTE WERNEBURG

Sein Vermächtnis hat er geregelt. Die Bauarbeiten am Haus in der Jebenstraße 2 sind im Gange. In dem zwischen Bahnhof Zoo und der Universität der Künste gelegenen ehemaligen Offizierskasino der Landwehr Inspektion wird künftig die Sammlung Newton zu sehen sein. Der geplante Eröffnungstermin am 3. Juli freilich, den Helmut Newton erst kürzlich mit Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, festgelegt hat, wird nun zum Gedenktag. Denn am Freitag starb er in Los Angeles.

Sein letztes Fax an Klaus-Dieter Lehmann endete: „Ich freue mich auf mein Berlin“, schreibt der Präsident in der Stellungnahme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zum Tode von Helmut Newton. Mit der Dauerleihgabe seiner Sammlung an die Staatlichen Museen zu Berlin hatte der Fotograf die Stadt für sich wiedererobert. Alle, vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit angefangen bis hin zu den Kommentatoren der Zeitungen, lagen ihm zu Füßen. Denn ähnlich wie bei der Rückkehr Heinz Berggruens und seiner Sammlung Klassischer Moderne nach Berlin, meint Newtons Stiftung mehr als die rein materielle Investition. Sie ist eine Geste der Aussöhnung mit der Stadt, in der Newton 1920 als Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten geboren wurde und die er 1938 als Emigrant verlassen musste. Als Lehrling im Studio der Modefotografin Yva hatte er hier seine ersten fotografischen Versuche unternommen, die erst 1945 mit seinem ersten Titelfoto für die Australasian Post in Melbourne ihre Früchte zu tragen begannen. Als er im Dezember 1938 am Bahnhof Zoo in den Zug stieg, der ihn aus Deutschland herausbringen sollte, war es eben das von dort aus prominent sichtbare Kasino in der Jebenstraße, das er als letzte Berliner Impression in Erinnerung behielt, wird kolportiert.

Als Modefotograf etablierte sich Newton erst in den 50er-Jahren, als er mit seiner Frau June Browne, die selbst unter dem Künstlernamen Alice Springs fotografierte, von Australien nach London übersiedelte. Er war auch noch keineswegs der Glamourfotograf, der er in den 70er- und 80er-Jahren werden sollte, sondern fotografierte für brave Frauenzeitschriften wie Constanze. Allerdings schaffte er schon 1961 den Einstieg bei der französischen und britischen Vogue. Er fotografierte für Queen, ein britisches Modemagazin, für Elle, den Stern und den amerikanischen Playboy. „Die gedruckte Seite war während meines ganzen Lebens als Fotograf, der Dynamo, der mich antrieb“, bekannte er 1998 im Vorwort zur schönsten Monografie, die unter seinem Namen erschien. „Pages from the Glossies“ zeigt Faksimiles seiner Fotostrecken, wie sie in den Modemagazinen von 1956 bis 1998 erschienen. Im Rahmen des Auftrags, sei er redaktionell oder von der Werbung veranlasst, habe er immer seine Inspiration gefunden, sagt Newton weiter. Es mache ihn glücklich, wenn seine Fotografien an den Wänden eines Museums, einer Galerie oder eines Sammlers hingen, aber entstanden seien sie immer in Hinblick darauf, zu beeinflussen, ein Produkt zu verkaufen, kurz, sie seien zuerst Propaganda.

Nach seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Nikon 1975 in Paris kontextlos, weit über das Zeitschriftenmaß hinaus vergrößert als Kunst präsentiert, wusste man dann auch nicht so recht, was anfangen damit? Warben seine Großformate und seine beim Münchner Verleger Lothar Schirmer veröffentlichten Prachtbände für das Produkt Frau oder das Produkt Newton? Oder einfach für Schuhe mit wenigstens 15 cm hohen Stilettoabsätzen? Oder gar für „seinen Faschismus“, wie die Schlagzeile von Emma im November 1993 lautete, die für die große Abrechnung mit dem Starfotografen warb? Der kurze dümmliche Text war, entlarvend genug, mit nicht weniger als 20 Newton-Fotografien spektakulär bebildert und brachte Alice Schwarzer eine herbe Niederlage vor Gericht ein, das sie zur Zahlung von 20.000 Mark Honorar an den Fotografen verurteilte.

Dennoch darf Helmut Newton als die Mutter aller Prada-Meinhof-Koketterie gelten, mit seinem eitlen, frivolen, freilich auch ironischen Spiel mit der Nazi-Ästhetik, wie er sie 1979 für die deutsche Vogue mit blond bezopften Maiden am Berliner Schlachtensee inszenierte. Das Kalkül dieses Spiels mit dem Radical Chic jedoch ist stets komplexer als diejenigen Glauben machen möchten, die es angeblich für bare Münze nehmen. Es geht um das Spiel mit dem Fetisch, das Newton listig und erfolgreich wie kaum ein anderer Fotograf verfolgte. Dieses Spiel mit dem Fetisch aber, dieses Theater des Herzeigens dessen, was nach Sigmund Freud fehlt, führte Newton sehr wohl als Maskerade vor, hinter der auf das Echte zu hoffen freilich verfehlt wäre. Wer bei Newton Bekenntnisse erwartet statt wohl durchdachter und höchst kunstvoll inszenierter Bagatellen, muss irre sein.

Und wer die Wurzeln sucht, muss irre gehen. Denn wer käme schon darauf, dass ausgerechnet die RAF seine „Big Nudes“ von 1980 inspirierte? Doch eben in den „Pages from the Glossies“ behauptet Newton, von der deutschen Polizei veröffentlichte, lebensgroße Fotos der Terroristen hätten ihn auf just diese Idee gebracht. So verquer ticken eben Menschen, die gewohnt sind ihre Einfälle zu Markte zu tragen. Kein Grund, sie nicht zu preisen, im Gegenteil. Wie sich die Frauen, schlank, groß und dank der hochhackigen Schuhe mit noch längeren Beinen gesegnet, frontal vor dem Betrachter oder der Betrachterin aufbauen, das war damals von einer kaum je gesehenen Radikalität. Das irritierte. Denn natürlich sah man sie als Objekte. Doch sie, in ihrer ganzen Haltung, schauten als Subjekt zurück. Sie hatten etwas Anmaßendes, das mehr verschreckte als verführte. Trotzdem lag auch Verführung in ihrem Posieren. In ihrem gemeinsamen Auftritt hatte Newton sie als Gang in Szene gesetzt, die gleichwohl das Urteil des Paris aktiv zu fordern schien. Es fügten sich in den „Big Nudes“ Gesten und Haltungen, Signale der Aktfotografie und Zeichen der Modefotografie nicht wirklich zusammen. Gerade das, möchte man meinen, macht Newtons Herleitung glaubhaft. Wer hinter den Nackten die Terroristen sieht, bekommt endlich eine Ahnung von der Macht des Fetisch und der Macht der Maskerade.

Kein Wunder, dass die Modewelt aufatmete, als nach den 80er-Jahren, die Newton dominiert hatte, Wolfgang Tillmans 1992 „Alex und Lutz“, halbnackt, nur mit einem übergeworfenen Regenmantel bekleidet, in die Bäume setzte. Das schien überhaupt nicht inszeniert, so jugendlich, so frisch. Selbstverständlich hatte Helmut Newton in den 60er-Jahren ebenfalls jugendlich und frisch angefangen. Seine Karriere ging mit dem Paradigmenwechsel von der Dame zum Partygirl von Mary Quant oder Ossie Clark einher. Dann aber war Newton zwar nicht wieder bei der Dame, die es nicht mehr gab, doch immerhin bei der Frau als Model angekommen. Die erwachsene Frau in die Mode zurückgebracht zu haben, dürfte neben seinem profunden Bildideen zum Fetisch Ware, Sex und Gewalt sein bleibender Beitrag in der Modefotografie der letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts sein.