piwik no script img

Archiv-Artikel

Das neue Leben des Hilmar N.

Fußfesseln, „Gefährdetenansprachen“, Objektschutz: Seit ein Sexualstraftäter nach Bremerhaven zog, ist ein Streit um den richtigen Umgang mit dem Mann entbrannt. Die Polizei sieht keine Personen konkret gefährdet

VON CHRISTIAN JAKOB

Sein neues Leben begann stockend. Bevor Hilmar N., 61 und gerade aus der Haft entlassen, nach Bremerhaven ziehen konnte, musste er einige Tage in einem Dorf in der Wesermarsch abwarten. Der schlimmste Volkszorn sollte sich gelegt haben, bevor er in die Stadt kam.

N. war wegen mehrjährigen sexuellen Missbrauchs seiner Stieftochter zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Eine Jugendfreundin aus Bremerhaven wollte ihm ein neues Zuhause bieten.

Den Medien entging das nicht. Am 21. Oktober hatten sich für N. die Tore der JVA Lübeck-Lauerhof geöffnet. Viele Zeitungen hatten dies als „Justizpanne“ bezeichnet, andere sahen darin eine „Wahrung materiellen Rechts“. Zwei Sachverständige, die N. während seiner Haft untersucht hatten, stuften den Mann als gefährlich ein – er hatte im Gefängnis eine Therapie abgelehnt. Sie sprachen sich für eine dauerhafte Sicherungsverwahrung aus. Das Landgericht Kiel hätte diese spätestens im Februar 2007 anordnen müssen. Doch weil ein Gutachter erkrankte, fasste die Kammer den Beschluss erst im September. N. klagte beim Bundesgerichtshof gegen die verschleppte Entscheidung – und bekam Recht. Wegen des Formfehlers wurde er auf Bewährung entlassen.

„Wir sind kalt überrascht worden“, sagte der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) am Donnerstag bei einer Sitzung der Innendeputation. Die Behörden standen vor dem Problem, die Bewohner vor einer möglicherweise von N. ausgehenden Gefahr zu schützen – und gleichzeitig N. vor der Bevölkerung. Nachdem ein Regionalmagazin von Radio Bremen Aufnahmen des Hauses gezeigt hatte, in das Hilmar N. ziehen wollte, ergriff die Polizei „Objektschutzmaßnahmen“, die allerdings nach einigen Tagen eingestellt wurden. Agenturen verbreiteten, dass Polizisten alle Nachbarn persönlich vor N. warnen sollten – ein Gerücht. „Das ist nicht angesagt“, sagte ein Polizeisprecher – schon allein deshalb, weil die neue Wohnung N.s in einem Gewerbegebiet liege.

Die Bremer CDU wollte N. eine elektronische Fußfessel anlegen lassen, die seine Bewegungen per GPS dokumentiert hätte. Innensenator Mäurer erteilte dem eine Absage: „Alle seine Taten haben sich im familiären Umfeld abgespielt.“ Es sei nicht damit zu rechnen, dass N. „jetzt plötzlich in einen Kindergarten geht, um dort Kinder zu belästigen“. Auch sei die Fußfessel „nur zur Haftvermeidung“ erlaubt, nicht aber bei Menschen, die ihre Strafe bereits verbüßt hätten.

Reaktionen wie im brandenburgischen Joachimsthal blieben in Bremerhaven bisher aus. Dort hatten Rechtsradikale auf Flugblättern mit der Aufschrift „Ein Stock, ein Stein, schlagt Werner K. den Schädel ein“ zur Lynchjustiz an einem entlassenen Sexualstraftäter aufgerufen. K. war im Sommer nach 22 Jahren Haft in seinen Heimatort zurückgekehrt.

Dennoch wird sich N.s Leben künftig eher im Verborgenen abspielen. Er habe bekundet, das „Haus nicht verlassen“ zu wollen, berichtete Polizeichef Harry Götze der Deputation. Die Polizei habe „das familiäre Umfeld“ gezielt angesprochen, also die Familie der Jugendfreundin, so Götze. Zwar habe deren Tochter zwei Mädchen, doch diese hätten keinen Kontakt zu ihrer Oma.

Ansonsten „haben wir keine weiteren gefährdeten Personen gefunden“, sagte Götze. N. erfülle bisher seine Bewährungsauflagen. So ist er verpflichtet, Kontakt zu seinem Bewährungshelfer zu halten, eine Therapie sei „in Vorbereitung“. Außerdem ist es N. untersagt, Kontakt zu Mädchen aufzunehmen, die jünger als 16 Jahre sind.