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Archiv-Artikel

Kein Trick ist im Spiel

Wenn die wirkliche Welt sehr unwirklich wird: Der Fotograf Jay Mark Johnson arbeitet mit einer Schlitz-Scan-Kamera und erzeugt farbverschobene, gestauchte, von rechts nach links fließende Bilder. Zu sehen sind sie in der Galerie Markus Deschler

VON BRIGITTE WERNEBURG

Im Falle von Jay Mark Johnson ist es ein guter Start, einfach mal seine ganzen Unternehmungen aufzulisten. Denn damit, dass der ausgebildete Architekt Theatermann, Performancekünstler, Fotograf und Filmemacher, Assistent von Peter Eisenman, Rem Koolhaas und Aldo Rossi war, bevor er in den 80er-Jahren Fernsehgesellschaften nicht nur in New York, sondern auch in El Salvador gründete und nach seiner Rückkehr nach Los Angeles die visuellen Spezialeffekte bei Produktionen wie „Outbreak“, „Matrix“, „Titanic“ oder „Moulin Rouge“ mitverantwortete, von seinen Musikvideos, unter anderem für die Red Hot Chili Peppers, gar nicht zu reden, damit ist schon einiges Erklärendes zu seinem paradoxen fotografischen Werk gesagt.

Denn in dem schaut die wirkliche Welt sehr unwirklich aus. Also ganz anders, als man es sonst von der Fotografie gewöhnt ist. Dabei rückt Jay Mark Johnson auch nicht ein Gran von der Kamerafotografie ab. Es ist „kein Trick im Spiel“, wie Barry C. Barish, emeritierter Linde-Professor für Physik am California Institue of Technology, über Johnsons Bilder sagt, sondern großes fototechnisches Interesse und ein ebenso großer fototechnischer Erfindungsreichtum. Jay Mark Johnsons Neugierde wird durch die Frage entfacht, was man visuell wohl alles mit Raum und Zeit anstellen kann, wenn man zwei oder drei der Regeln bricht, die üblicherweise zur Anwendung kommen, sobald man eine Kamera zum Beispiel auf einen italienischen Marktplatz richtet.

Der Marktplatz von Cetona, wie ihn Jay Mark Johnson fotografiert hat, schaut dann aus wie eine etwas verrückt gewordene Strandpromenade. Sommerlich gekleidete Menschen mit Hündchen an der Leine oder mit Plastiktüten in der Hand werfen nach links und rechts Schatten, gerade so, wie es ihnen zu passen scheint. Zwischen ihnen flitzen kleine, gestauchte Autos und Transporter einher.

Es ist vielleicht kein Trick im Spiel, aber doch eine ganz besondere Kamera. Es ist eine Schlitz-Scan-Kamera, wie sie Stanley Kubrick in „2001: A Space Odyssey“ verwendete, eine Kamera, deren Verschluss aus drei fadendünnen Schlitzen und damit drei Kanälen für die Rot-Grün-Blau-Signalübertragung besteht. Diese Kamera hat einen Motor, der sie um 360 Grad dreht, während sie den kompletten Horizont um einen feststehenden Punkt abscannt. Bei Jay Mark Johnson weiß nun diese Kamera nicht, dass er den Motor abgeschaltet hat und nicht sie, sondern die Umgebung, die Menschen, Tiere und Fahrzeuge sich bewegen. Dadurch wird ein von links nach rechts fließendes Bild erzeugt, in dem die Objekte gestaucht werden und damit höher, aber auch kürzer erscheinen. Und weil nun die RGB-Schlitze nicht ganz im Lot sind, kommt es zu Farbverschiebungen im Hintergrund. Dann erscheinen die verschiedenen Stockwerke eines Hochhauses in Belgrad als bunte Linien, die mal fetter, mal schmaler sind und in den verrücktesten Farben schillern.

Mit der Welt, wie wir sie wahrnehmen, hat das tatsächlich nichts zu tun. Es hat mit ihrer Physik zu tun, aber die nehmen wir nicht wahr. Dass uns die Welt, die Jay Mark Johnson zeigt, trotzdem nicht ganz fremd ist, hat auch mit der Geschichte der Kunst zu tun und den Bilderfindungen, die wir ihr verdanken. Wir begegnen bei ihm Salvador Dalí und seinen surrealistischen Landschaften, in denen die Zeit aus Uhren tropft, wir begegnen Eadweard Muybridge und seinen Bewegungsstudien oder auch den italienischen Futuristen und ihrer synchronen Darstellung von zeitlichen Abläufen, von Dynamik und Rhythmik im Bild. Und natürlich begegnen wir auch der Hollywood-Science-Fiction und ihren Weltzerstörungsszenarien. Allerdings ist das alles nur leichthin angetippt. Vor allem begegnen wir einem ganz und gar originellen fotografischen Werk, das uns ein wenig unheimlich ist, weil es uns desorientiert und doch auf eine poetische Weise ganz neu orientiert und informiert.

Bis 10. Januar, Jay Mark Johnson: „Swept Away“, Galerie Markus Deschler, Auguststr. 61, Di.– Sa. 12–18 Uhr