: Was ist mit den Vätern?
betr.: „Hauptberuf Mutti ist kein Bildungsvorteil“, „Bildungsnachteil Hausfrau“, taz vom 5. 3. 03
Von einer linken Tageszeitung würde ich erwarten, dass sie sich mit Jahrzehnten feministischer Kämpfe beschäftigt und daraus den Schluss gezogen hat, dass Freiheit für Frauen bedeutet, dass sie sich ihre Form des Lebens frei wählen können. Dazu gehört auch, dass sie sich dafür entscheiden können, neben dem in der Tat anstrengenden Hauptberuf als Mutter und Managerin der Familie zumindest einige Jahre keinem zweiten Hauptberuf außerhalb der Familie nachzugehen. Das gibt niemandem das Recht, sie als „Muttis“ zu diffamieren.
Zweitens würde ich von der taz erwarten, dass sie sich dadurch positiv von der Springer-&-Co-Presse abhebt, dass sie sich einmal eine Viertelstunde mit den Grundzügen der Statistik beschäftigt und dabei verstanden hat, dass eine Korrelation zweier Variablen (Berufstätigkeit der Mutter ja/nein x Schulerfolg der Kinder ja/nein) nicht mit einer Kausalität (Berufstätigkeit nein verursacht Schulerfolg nein) gleichzusetzen ist. Es besteht auch eine hohe Korrelation (statistisch berechnet) zwischen dem Rückgang der Störche und dem Rückgang der Geburten in den letzten fünfzig Jahren. Kausal verantwortlich für beide Phänomene ist jedoch eine dritte (Moderator-)Variable: die Industrialisierung.
Die Vermutung liegt nahe, dass das auch in dem vorliegenden Beispiel der Fall ist, gerade da der Effekt im Osten so stark ist. Intelligente Mütter mit höheren Schulabschlüssen werden vermutlich bessere Chancen haben, bei der hohen Arbeitslosigkeit im Osten noch einen Job zu haben als Mütter ohne Hauptschulabschluss. Intelligente Mütter mit hohen Schulabschlüssen haben außerdem häufiger intelligentere Kinder oder neigen stärker dazu, auch weniger intelligente Kinder auf höhere Schulen zu schicken. Sie haben besser bezahlte Berufe und können sich mehr Unterstützung leisten (Haushaltshilfe etc.) und die hohen Kosten für Ganztagsbetreuung der Kinder lohnen sich eher.
Drittens würde ich von der taz erwarten, dass sie einen solchen statistischen Effekt mit konkreten Überlegungen füllt. […]
DR. BIRGIT NILSSON, Norderstedt
Mütterschelte macht sich doch immer wieder gut. Erst waren es jahrelang die Berufstätigen und Alleinerziehenden, jetzt sind zur Abwechslung die „Hausmuttis“ schuld an den mangelnden Entwicklungschancen ihrer Sprösslinge. Was ist mit den Vätern? Haben die damit nichts zu tun?
Dass Kindererziehung und der Erfolg derselben – woran lässt der sich messen?, nur am erreichten Schulabschlussniveau, oder gibt es vielleicht weitere Messgrößen wie das subjektiv empfundene Lebensglück oder die Verwirklichung des Eigenen, oder dürfen solche Fragen nicht mehr gestellt werden? – nicht im leeren Raum geschieht, sondern von vielen verschiedenen Gegebenheiten abhängt, die miteinander in komplexer Wechselwirkung stehen, das wird dabei völlig außer Acht gelassen. In den späten Sechzigern und frühen Siebzigern des vorigen Jahrhunderts gelang vielen Menschen in Deutschland der Sprung in ein höheres Bildungsniveau als in ihren Familien üblich – was von den Betroffenen noch heute als große glückliche Chance gesehen wird. Schuld daran waren nicht die Eltern oder deren Lebensweise, sondern die Bildungspolitik von Willy Brandt, die den 2. Bildungsweg öffnete und den Zugang zum Abitur erleichterte. IRIS WUTTKE
Die Selbstverständlichkeit, mit der von Herrn Füller die Verantwortung an der Benachteilugng ihrer Kinder im Bildungsbereich auf die individuelle Ebene der einzelnen Familie und vor allem die „Haus“-Frauen abgeschoben wird, hat mich erschreckt. Ein großer Teil der „anregungsarmen … kochenden und putzenden Mamis“ könnten Frauen sein, die auf dem zusammengebrochenen Arbeitsmarkt keine Arbeitsstelle mehr finden.
Gerade im Osten war aber die Berufstätigkeit der Frauen ein wichtiger Bestandteil der sozialen Netzwerke und finanziellen Absicherung. Dass Kinder von Müttern, die nicht berufstätig sein können, dadurch deutlich schlechtere Chancen haben, zeigt einmal mehr, dass das Bildungssystem nicht in der Lage ist, Kinder aus benachteiligten Familien entsprechend zu fördern.
BERNHARD RIESEBERG, Heidelberg