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Der Schuss am Schluss

Mit Vehemenz, ohne Entschiedenheit: Karoline Grubers Inszenierung von Verdis Nabucco an der Hamburgischen Staatsoper bleibt am Ende unentschlossen zwischen familiärem Konflikt und der politischen Aussage um Unterdrückung und Befreiung

aus Hamburg Eberhard Spohd

Am Ende bringen sie sich gegenseitig um. Die Machtgier will es so, und wahrscheinlich ist dieser überraschende und vom Komponisten Giuseppe Verdi nicht vorgesehene Schluss inzwischen die einzige Möglichkeit, dessen Oper Nabucco schlüssig über die Bühne zu bringen. Allerdings muss dann die Inszenierung auch auf diesen Showdown hin konzipiert sein. Das allerdings ist bei der Premiere am Sonntag in der Hamburgischen Staatsoper nicht gelungen.

Denn Regisseurin Karoline Gruber konnte sich offensichtlich nicht so richtig entscheiden: Sollte sie eher das Drama um das nach Babylon verschleppte hebräische Volk in den Mittelpunkt stellen? Oder die verworrene Familiensituation um Babylons König Nebukadnezar und seine Töchter Abigaille und Fenena? Am Anfang sieht es ganz so aus, als wolle Gruber Letzteres: Während der Ouvertüre flimmert ein Super-8-Film über die Leinwand. Zwei kleine Töchter bringen ihrem Vater eine Geburtstagstorte und Geschenke ans Bett. Der bevorzugt ganz offensichtlich die eine der beiden, während er die andere missbraucht. Fenena, so erfahren wir anschließend in der Oper, ist zwar die jüngere und darüber hinaus verliebt in den Hebräer Ismaele, aber dennoch Papas Liebling. Die ältere, Abigaille, dagegen ist machtversessen und will auf den Thron, ist aber nicht das Kind ihres Vaters, sondern die Tochter eines Sklaven. Allein auf Grundlage dieses psychologischen Konflikts, so könnte man meinen, ließe sich Verdis frühes Meisterwerk hervorragend inszenieren.

Doch da ist auch die politische Komponente von Nabucco. Jahrzehntelang glaubte man, dass die Oper maßgeblich zur Einigung Italiens beigetragen habe. Auch wenn das inzwischen von der Musikwissenschaft widerlegt wurde, gilt das Drama als Musterbeispiel dafür, wie die Versklavung eines Volkes in Szene gesetzt werden kann. Dass es sich bei diesem Volk aber um das hebräische handelt, macht die Sache jedoch umso schwerer.

Selbstverständlich hatten Gruber und ihr Team sowohl den Holocaust als auch den israelisch-palästinensischen Krieg im Hinterkopf. Nur entscheiden wollten sie sich nicht. Da werden die babylonischen Besetzer mit Kalaschnikows und Kampfanzügen ausgestattet, oder sie tragen Barette, wie man sie von Saddam Hussein kennt. Auf der anderen Seite schnallt sich ausgerechnet die zum Judentum konvertierte Fenena den Dynamitgürtel um, um als Selbstmordattentäterin zur Märtyrerin zu werden. Alles vor dem Hintergrund (Bühnenbild: Stefan Heyne) eines großen Fotos, das 500 Hamburgerinnen und Hamburger zeigt und die den Chor in Vordergrund zum Volk werden lassen, im Zentrum die zwei Mädchen im Nachthemd aus dem Vorfilm.

So bleibt der Eindruck der Unentschlossenheit zwischen Familienkonflikt und politischer Aussage. Die Musik weiß das nicht aufzulösen: Dirigent Ion Martin reitet das Orchester mit Geschwindigkeit und Vehemenz durch die Oper und lässt Verdis Kadenzen plakativ aufleuchten, mitreißend wird es aber selten. Darunter hatten die Sänger zu leiden. Zwar wurden die Stimmen im Laufe der Aufführung immer besser, insbesondere Lado Atanelli überzeugte als Nabucco. Doch wirkten die Einsätze in einigen Szenen gekünstelt, so beispielsweise, als Fenena (Katja Pieweck) ihren singenden Geliebten Ismaele (Viktor Lutsiuk) mit einen Kuss abwürgt, während der eifersüchtigen Abigaille (Georgina Lukács) bei diesem Anblick die Stimme versagt. Wobei Lukács ohnehin einige Male Schwierigkeiten hatte, den musikalischen Ansprüchen der Rolle zu genügen.

Wer also die Macht innehat, wird auf vielen Ebenen nicht klar. So fällt am Ende der tödliche Schuss auf dunkler Bühne. Man weiß nicht so genau, welcher der beiden, der gefallene Gott Nabucco oder der Hohepriester Zaccaria, abgedrückt hat. Wahrscheinlich beide gleichzeitig. Zuvor haben sie gegenseitig ihre Kronen vom Schreibtisch geräumt. Von der Macht können sie beide nicht lassen. Da ist es nur konsequent, dass sie auch gemeinsam sterben. Die Verwirrung aber bleibt.

weitere Vorstellungen: morgen, 31.1., 4., 8., 12., 15.+18.2., 19.30 Uhr, Hamburgische Staatsoper

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