: Elektroschock in der Grauzone
Polizisten bewahren einen potenziellen Selbstmörder per Elektrowaffe vor dem Sprung in die Tiefe. Problem: Der Einsatz ist rechtlich nicht abgesichert
von OTTO DIEDERICHS
Nachdem er sich zuvor mehrfach mit einem Messer verletzt hatte, versuchte ein 37-jähriger Mann in der Nacht zum Sonntag sich in die Tiefe zu stürzen. Im letzten Augenblick schoss ein SEK-Beamter mit einem „Advanced Air Taser“, einer Elektroschockpistole, auf den Mann und rettete ihn so. Problem: Der Einsatz des Tasers ist rechtlich nicht gedeckt.
Mittels Gasdruck feuert der Taser zwei pfeilförmige Hochspannungselektroden ab, die sich über Widerhaken in Haut oder Kleidung des Getroffenen festhaken. Über Drähte entlädt sich dann im Ziel für maximal fünf Sekunden eine elektrische Spannung von etwa 50.000 Volt und blockiert das zentrale Nervensystem des Getroffenen. Er verliert die Kontrolle über seinen Körper, seine Muskeln verkrampfen und er bricht augenblicklich gelähmt zusammen. Nachdem der Strom abgeschaltet wird, ist der Getroffene wieder fit. Die Zeit reicht dem SEK jedoch, um ihn zu überwältigen.
Seit August 2001 testet die Polizei diese Waffe, acht Geräte hat sie für das SEK beschafft, fünf Einsätze hat es seitdem gegeben. Und hier beginnt das Problem, denn der Einsatz des Air Tasers unterliegt den strengen Bestimmungen für Schusswaffeneinsatz, ist also nur in besonderen Gefahrensituationen wie Notwehr erlaubt. Dies war bisher jedoch erst ein einziges Mal der Fall, als im Mai letzten Jahres ein Betrunkener zwei Männer und einen Polizisten mit einem Messer angriff. In allen anderen Fällen wurden Menschen vor dem Selbstmord bewahrt.
Zweifellos eine noble Aufgabe – streng rechtlich betrachtet allerdings unzulässig, denn in der Regel stellt ein Selbstmörder keine öffentliche Gefahr dar. Nach Auskunft seines Sprechers sieht Innensenator Ehrhardt Körting (SPD) auch den letzten Einsatz dennoch als rechtlich gedeckt. Weitere Verwendungsmöglichkeiten seien „nicht ausgeschlossen“. Allerdings wolle man noch Erfahrungen aus anderen Bundesländern abwarten. Noch befindet sich der Taser in Berlin offiziell in der Erprobungsphase. Nach dem ersten Einsatz im August 2001, ebenfalls gegen einen Suizidgefährdeten, erlosch die Genehmigung zunächst. Der Einsatz wurde medizinisch, technisch und taktisch ausgewertet.
Das war vernünftig, denn ganz so harmlos, wie die Polizei glauben machen will, ist der Taser nicht. So berichtete die Polizeifachzeitschrift Kriminalistik bereits vor einigen Jahren über eine Untersuchung von Rechtsmedizinern. Ergebnis: Eine Gefährdung bei gesunden Personen durch Taser sei unwahrscheinlich. Bei Menschen mit Herzfehlern oder einem Herzschrittmacher aber, so die Mediziner, „erscheint die Gefahr des Auftretens eines potenziell tödlichen Herzkammerflimmerns ohne weiteres gegeben“. Ähnliches gelte bei Personen, die unter Drogeneinfluss stünden. Eine schnelle Entscheidung ist somit nötig. Sowohl im Interesse der BürgerInnen wie auch der Polizisten, die endlich Rechtssicherheit brauchen.
Auch ganz so neu, wie man bei der Polizei glaubt, ist der Taser-Einsatz nicht. 1988 setzten Stasi-Mitarbeiter vergleichbare Geräte gegen Jugendliche ein, die von der Ostseite des Brandenburger Tores ein Michael-Jackson-Konzert im Westen hören wollten.