: Der Künstler als Kolonist
Zum 16. Mal ruft die „Kolonie Wedding“ zum Kunstwochenende im Soldiner Kiez. Das dient der Imageverbesserung für einen Bezirk, dem mit den Fabriken auch die „rote“ Arbeiterseele abhanden kam. Stattdessen herrscht die Tristesse des Niedergangs
von WALTRAUD SCHWAB
„Der Wedding kommt anders“, so heißt die neue Parole, mit der sich der ehemalige „rote“ Arbeiterbezirk, nun Arbeitslosenbezirk, Mut zuspricht. Auch die „Kolonie Wedding“, ein regelmäßig stattfindendes Off-Kunstprogramm, das das Galeriepublikum in den zum Stadtteil degradierten Bezirk zieht, firmiert seit neuestem unter diesem Logo.
In der Regel ist es umgekehrt. „Kommt anders in den Wedding“ ist die Haltung, die auch heute noch gilt: gewappnet. Auf der Hut. Nicht vorurteilsfrei. Das Image des Bezirks ist schlecht. Nicht nur hat der „gemeine“ Berliner dort Angst vor den Einheimischen, hinzu kommt, dass der Wedding bis vor kurzem in Galerie- und Restaurantführern gar nicht vorkam. Nichts los. Und wo es schon ausgesprochen ist: Der Soldiner Kiez, in dem die „Kolonie Wedding“ einmal im Monat das Wochenende zum künstlerischen Event erklärt, hat tatsächlich nicht den Ruf, ein Paradies zu sein.
Deshalb wurde diese innerstädtische Zone unweit der Bornholmer Brücke 1999 unter Quartiersmanagement gestellt. Das Ziel: mit möglichst wenig Mitteln eine Verbesserung der Lebensqualität der hier lebenden Bevölkerung zu erreichen. Nicht ganz ohne Erfolg. Ausbau von Grünanlagen und Spielplätzen, Vernetzung von Schulen, Stabilisierung sozialer Infrastruktur stehen auf dem Programm.
Dass die Quartiersmanager mitnichten allerdings die schwache Kaufkraft der Bewohner und Bewohnerinnen verbessern können, wissen sie. Wenngleich sie durch Originalität dagegen arbeiten. Die „Lange Nacht des Döners“ wurde von ihnen ins Leben gerufen. Mit vollem Erfolg. Ein Siebtel der europäischen Dönerproduktion wird in diesem Kiez produziert. Fast alle anderen Wirtschaftsbetriebe aber gingen Bankrott oder wanderten nach der Wende ins Umland ab. „Statistische Daumenzahlen“, wie die Quartiersmanager sagen, geben die Misere wider: 20 Prozent Arbeitslosigkeit, 20 Prozent der Bevölkerung auf Sozialhilfe, 85 Prozent Kinder nichtdeutscher Herkunft an den Grundschulen.
Türkische Rasur
In den massenhaft leer stehenden Läden des Kiezes wurde im Dezember 2001 die „Kolonie Wedding“ etabliert. In Absprache mit Vermietern konnten Künstler gegen Betriebskostenpauschalen die unbenutzen Geschäfte als Ateliers und Galerien anmieten. Einzige Auflage: Einmal pro Monat müssen ein Wochenende lang Ausstellungen angeboten werden. „Kunst im Leerstand. Kurzfristig Besucher heranziehen. Imageverbesserung für den Kiez.“ So lauten die Schlüsselsätze der Quartiersmanager.
Mittlerweile findet das „Kolonie“-Weekend zum 16. Mal statt. Aktuelles Thema: „Art and Beauty“. 14 Galerien entlang des nördlichen Teils der Prinzenallee und in der Biesentaler Straße stellen aus. Dazu aber auch zwei Friseure in der Soldiner Straße. Zudem gibt es „klassische türkische Rasur für den Herren mit Überraschungen“.
Was die ausgestellte Kunst betrifft: Zwischen Selbstverwirklichung und Professionalität ist alles zu finden. „Haiku-Installationen“ und „Meditative Malerei“, „Farben des Wedding“ und „Geometrie der Emotionen“, „Schönheit und Schmerz“, und „ich hab auch Bild gemalt“. Video, Malerie, Fotografie, Architektur. Alles ist Highlight.
Magnet fürs Publikum aus den szenigen Vierteln der Stadt wird die Galerie Eiswürfel. Dort stellt Klaus W. Eisenlohr Fotos aus Chicago und Hooksiel gegeneinander und zeigt, dass die Leere des Raums in der Großstadt die gleiche Melancholie ausstrahlt wie jene im Nordseebad am Jadebusen. Magnet fürs Publikum aus den besseren Vierteln werden Bilder und Modelle des Erdarchitekten Engelbert Kremser in der Galerie „Arca“ sein. Kremser hat das Café am See im Britzer Garten und das Schaugewächshaus im Botanischen Garten entworfen.
Die Galerie „Arca“ wird von dem Bildhauer Josef-Maria Breiden gemacht. Eigentlich wollte er ein Atelier anmieten. Die Auflage, monatlich einmal auszustellen, nahm er hin. Dass daraus die Vollzeitbeschäftigung eines Galeristen wurde, hatte er sich so nicht vorgestellt, die Herausforderung aber angenommen.
Lidschattenpolitik
Dazu gehört, dass er versucht, sich den Migranten und Migrantinnen im Kiez zu öffnen. Erfolgreich war er damit nicht. Seiner Erfahrung nach nehmen die Abgrenzungstendenzen bis hin zu Feindseligkeiten zwischen den Deutschen und den Türken derzeit eher zu. „Folge verfehlter Integrationspolitik.“ Breiden reflektiert seine Arbeit als Galerist in einem so schwierigen Umfeld kritisch. Er weiß, dass Künstler unter Selbstausbeutung schon sehr oft einen Bezirk hoffähig gemacht haben, weil ihre Anwesenheit für andere Bewohnergruppen interessant wurde. Jetzt ist es eben der Wedding. „Lidschattenpolitik“ nennt er das.
Noch ist Beauty, die Schönheit, in der Prinzenallee allerdings nicht angekommen. Hier herrscht die Tristesse des Niedergangs. Mitunter in seiner poetischsten Form. Spielhallen neben Imbiss neben Export-Import. In heruntergekommenen Hinterhöfen stellten sich die letzten Reste eines ehemaligen Arbeiterbezirks zus Schau. Treibriemen werden in düsteren Büros vertrieben, in anderen wird Hundefutter verpackt. Dazwischen aber verstauben rosafarbene Blumen aus Plastik hinter leeren Schaufenstern.