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Archiv-Artikel

Strahlenopfer hoffen auf US-Gericht

Krebskranke Bundeswehrsoldaten verklagen die Hersteller von amerikanischen Radargeräten jetzt in Texas auf Schadenersatz. In Deutschland geht die Auszahlung der Entschädigung, die schon Minister Scharping versprochen hatte, nur schleppend voran

„Fast jede Woche erfahren wir vom Tod eines Mandanten“

AUS BERLIN ANDREAS SPANNBAUER

Krebskranke Bundeswehrsoldaten können auf Schadenersatz von amerikanischen Rüstungskonzernen hoffen. Ein US-Bundesgericht im texanischen El Paso hat jetzt eine entsprechende Klage zugelassen. Das bestätigte der Berliner Rechtsanwalt Remo Klinger, der in Deutschland einen Teil der Kläger vertritt, gestern der taz.

„Unsere Mandanten erkranken überdurchschnittlich häufig an Hodenkrebs und Leukämie“, begründet Klinger die Klage. Die Soldaten hatten zwischen 1958 und 1994 in den Vereinigten Staaten hergestellte Radargeräte der Nato betrieben und gewartet. Von den Anlagen, die an mehreren Standorten in Deutschland genutzt wurden, ging Röntgenstrahlung aus, die in hoher Dosierung bösartige Tumore auslösen kann.

Nach einem Gutachten der Universität Witten-Herdecke, das die Bundeswehr in Auftrag gegeben hatte, überschritt die Strahlung eindeutig die zulässigen Höchstgrenzen. „Im Resultat kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die gesetzlich festgelegten Sicherheitswerte für ionisierende Strahlung und auch gepulste Hochfrequenzstrahlung überschritten wurden“, heißt es im Bericht der Wissenschaftler.

„Die Strahlenabschirmung der Geräte war unzureichend“, argumentiert auch Rechtsanwalt Klinger. Hersteller der Radaranlagen waren unter anderem die amerikanischen Konzerne Raytheon, Lucent Technologies und ITT Industries. Raytheon weist die Vorwürfe bisher zurück und geht von einem Sieg vor Gericht aus. Neben den rund 450 Bundeswehrangehörigen haben auch Soldaten aus Dänemark, den Niederlanden und den USA Klage eingereicht.

Das Gericht in El Paso hat nun ein Ausforschungsverfahren eingeleitet. Damit können die Kläger die internen Dokumente der sechs beklagten Konzerne einsehen. Das Gericht prüft nun, ob die Fälle in einer Sammelklage gebündelt werden können. Für den 29. Juli 2005 ist eine Anhörung angesetzt.

Zudem könnte auch den Unternehmen Siemens und Philips eine Klage in Deutschland oder den Niederlanden drohen. Beide Konzerne haben ebenfalls Radaranlagen hergestellt, bei denen Röntgenstrahlung ausgetreten sein soll. „Wir schließen eine Klage gegen Siemens und Philips nicht aus“, so Klinger.

Auch das Verteidigungsministerium hat bisher nur wenige Strahlenopfer entschädigt. Warnungen vor einer übermäßigen Strahlenbelastung lagen nach Angaben der Anwälte schon seit den Sechzigerjahren vor – und wurden damals vom Verteidigungsministerium ignoriert. Die Anerkennung von „Wehrdienstbeschädigungen“ geht nur schleppend voran, obwohl schon der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) während seiner Amtszeit eine „großzügige Entschädigung“ versprochen hatte. Zwar akzeptierte das Verteidigungsministerium in den letzten Wochen etwa 100 Anträge. Doch viele der schätzungsweise über 1.000 Radarsoldaten warten weiter auf ihr Geld – und ziehen auch in Deutschland vor Gericht. Erste Urteile zu Klagen auf Schmerzensgeld erwartet man für März vor den Landgerichten Bonn und Frankfurt (Oder).

„Die biologische Uhr tickt“, sagt Rechtsanwalt Remo Klinger. „Fast jede Woche erfahren wir vom Tod eines Mandanten.“ Anerkannte Strahlenopfer erhalten in Deutschland als Entschädigung eine monatliche Zahlung von rund 300 Euro bis zum Lebensende. In den USA geht es um mehr: Nach Angaben von Experten könnte sich die Schadenersatzsumme auf insgesamt 400 Millionen Dollar belaufen.