: Gerster gegen Mobbing am Arbeitsplatz
Der gefeuerte Chef der Bundesagentur für Arbeit greift den Verwaltungsrat der Behörde scharf an. Er fühlt sich „öffentlich hingerichtet“ und sieht sich als Opfer einer Kampagne – eigene Fehler gesteht er kaum ein. Ein Nachfolger steht noch nicht fest
aus Berlin ULRIKE HERRMANN
Das hatte man noch nicht gesehen: Ein Behördenchef wird entlassen – und sitzt tags darauf in der Talkshow von Sabine Christiansen, um seine Unschuld zu beteuern. Florian Gerster, Exchef der Bundesagentur für Arbeit (BA), ist am Sonntagabend durch eine weitere Innovation aufgefallen.
Live konnte man also erleben, wie sich Gerster über Mobbing beschwerte. Seine Entlassung sei vom BA-Verwaltungsrat „sehr gründlich vorbereitet worden, und das Ergebnis stand fest, bevor der Prüfungsbericht der Innenrevision vorliegen konnte“.
Die internen BA-Kontrolleure hatten moniert, dass zwei von 49 untersuchten Beratungsaufträgen ohne Ausschreibung vergeben worden waren. Doch dieser Vorwurf interessierte den Verwaltungsrat der Bundesagentur in der Tat nicht besonders, als er Gerster am Samstag das Misstrauen aussprach. Stattdessen befanden die je sieben Vertreter von Arbeitgebern, Gewerkschaften und öffentlicher Hand schlicht, dass „das Vertrauensverhältnis gestört“ sei – „unabhängig von Verstößen gegen das Vergaberecht“. Es gab nur eine Gegenstimme. Was das Vertrauen getrübt haben könnte – dies blieb zumindest Gerster ein Rätsel. „Ich habe eigentlich nur Antworten bekommen, die man atmosphärisch nennen könnte.“ Er führte dann ein paar Beispiele für die angemahnten Versäumnisse an: „die eigenen Mitarbeiter mitnehmen, den Verwaltungsrat höher wertschätzen“. Nun fühlt sich Gerster „öffentlich hingerichtet“ und als Opfer einer Kampagne.
Zu den möglichen Tätern schwieg er sich aus, ließ aber durchblicken, dass er „vor allem eine Bank im Verwaltungsrat“ verdächtigt. Dunkel fügte er hinzu: „Da gab es einen Personalwechsel.“ Gemeint sind anscheinend die Arbeitgeber; sie haben erst im November Peter Clever zu ihrem Abgesandten im BA-Präsidium berufen. Positiv äußerte sich Gerster nur über Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD): Dieser habe ihn „menschlich und sachlich auf das Beste unterstützt“.
Am Ende war alles gesagt. Deswegen blies Gerster gestern auch seine angekündigte Pressekonferenz in der Bundesagentur ab. Denn deren Funktion hatte der Gastauftritt bei Sabine Christiansen ja nun schon bestens erfüllt.
Gersters Ausflug in die Talkshow war nicht nur eine Novität – er passte auch nicht so recht zum bisherigen Rollenverständnis des geschassten Agenturchefs. Gerster hat immer darauf bestanden, sich eben nicht als Behördenleiter zu sehen – sondern als Manager, der wie in einem normalen Unternehmen agiert. Nun ist es jedoch in der Privatwirtschaft ganz und gar unüblich, dass entlassene Führungskräfte sofort vor die Kameras treten, um sich über ihre Aufsichtsgremien zu beschweren. Da ist Diskretion gefragt.
Zudem ist es in der Privatwirtschaft völlig normal, dass der Vorstand gehen muss, wenn er nicht mehr das Vertrauen des Aufsichtsrats genießt. Da sind weitere, materielle Gründe gar nicht erforderlich. Ob Gerster nun von zwei rechtswidrig vergebenen Aufträgen wusste oder ob er dafür zumindest abstrakt verantwortlich war – diese Fragen würden in Privatunternehmen nicht weiter interessieren. Wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist, dann hat sich der Job erledigt.
Daher ist es bei der Entlassung Gersters zu einer bizarren Rollenverkehrung gekommen: Der Verwaltungsrat hat sich wie der normale Aufsichtsrat eines Unternehmens benommen, während Gerster reagiert hat – wie ein Politiker. Er kämpft jetzt nicht nur um seine Ehre, sondern er kämpft um sie öffentlich: „Ich wollte aufrecht gehen.“
Es ist durchaus zu verstehen, dass Gerster in das Rollenmuster des Politikers zurückfällt, sobald er in eine Krise gerät – schließlich wurde er von der Öffentlichkeit auch immer wie ein Politiker behandelt. Allerdings zeigt Gersters plötzlicher Rollenwechsel auch, wie überflüssig es war, mehr als zwei Millionen Euro dafür auszugeben, die Bundesanstalt für Arbeit in eine Agentur umzubenennen. Damit sollte sie nach freier Wirtschaft klingen – doch die Strukturen dieser Institution bleiben politisch.
Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn nun ein „Mann aus der Wirtschaft“ antreten würde, wie es sich Clement wünscht. Manager genießen keine Sonderregeln, sobald sie sich ins Spiel der Politik wagen. Allerdings gibt es noch keine offiziellen Kandidaten. Einzige Nachricht gestern: Alle Parteien fordern, dass ganz schnell ein Nachfolger gefunden wird.