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Archiv-Artikel

Wrangelkids blicken anders durch

Seit zwei Jahren bringt das Projekt „Wrangelnetz“ Künstler und Jugendliche aus dem Kreuzberger Kiez dazu, gemeinsam zu arbeiten. Was dabei herauskommt, macht Spaß und fördert Integration – zum Beispiel der zornige Rap der vier „Schlesi-Girl’z“

von MAREN BEKKER

Lydia will Pferde haben. Und Katzen, und eine Kutsche. „Am Rande von Berlin“, liest die Zehnjährige vor, „Berlin ist meine Heimatstadt, ich werde Berlin nie verlassen.“ Das sieht Ozan etwas anders: „Ich hasse es, wenn mir einer was sagt, und ich es machen muss. Und wenn ich erwachsen bin, will ich für mein ganzes Leben in der Türkei bleiben.“ Unsicher und trotzig blickt der Zwölfjährige am vergangenen Freitag ins Publikum. Schließlich sind es seine Träume und Wünsche, die er hier laut vorliest. Lydia und Ozan gehören zu einer Gruppe von Kindern aus dem Kiez rund um die Wrangelstraße in Kreuzberg. In einer Schreibwerkstatt haben sie in den letzten Monaten ihre ganz persönliche Geschichte aufgeschrieben – und nun zusammen mit zahlreichen anderen Kindern und Künstlern sozial-kulturelle Projekte aus ihrem Kiez vorgestellt, die alle durch das „Wrangelnetz“ koordiniert werden.

Der Wrangelkiez ist ein so genannter Problemkiez: „Ein hoher Migrantenanteil, viel Arbeitslosigkeit, viel Armut“, sagt Heidi Walter, Projektleiterin vom Wrangelnetz. „Natürlich gibt es auch Probleme mit Gewalt und Kriminalität – doch der Kiez ist besser als sein Ruf.“ Bei der Generalprobe einer Band türkischer Jungs am Abend vor dem Auftritt fehlte einer – es gab Probleme mit der Polizei, hieß es. „Klar sind das harte Jungs“, sagt Heidi Walter, „doch gerade die so lange bei der Stange zu halten und für ein Musikprojekt zu begeistern, ist ein toller Erfolg.“ Später stehen die „Görl-Friends“ auf der Bühne und spielen hingebungsvoll türkische Popmusik, zwei Jungs spielen arabische Trommeln, im Hintergrund läuft eine selbst gedrehte Videoinstallation.

In den letzten Jahren haben sich viele Künstlerprojekte und soziale Initiativen im Kiez angesiedelt. „Doch man existierte mehr nebeneinander her, als zusammen etwas auf die Beine zu stellen“, so Heidi Walter. Vor zwei Jahren schuf das Wrangelnetz dann die Verbindung und wurde in das Familienministeriumsprogramm „entimon“ zur Förderung von Toleranz und Demokratie aufgenommen.

„Kunst macht Kinder stark und fördert die Integration“, erklärt Heidi Walter das Konzept des Netzwerkes. Zunächst lief die Zusammenarbeit eher schleppend an. „All die verklüngelten 68er-Strukturen mussten erst mal ordentlich durchgelüftet werden“, erzählt die Projektleiterin. Inzwischen klappt die Kooperation viel besser, viele neue Projekte sind in den letzten Monaten entstanden.

Wie etwa die „Schlesi-Girl’z“. Die vier Mädchen türkischer, tunesischer, deutscher und kroatischer Herkunft bezeichnen sich als „Gang“, ihr Revier ist der Görlitzer Park und das Schlesische Tor. Sie treffen sich oft bei „Rabia e. V.“, einem interkulturellen Mädchenprojekt in der Wrangelstraße. Hier lernten sie auch die Radio- und Kindertheaterfrau Karin Bender kennen. „Die Mädchen sind zu uns hergekommen und wollten gerne zusammen Musik machen“, erinnert sich Karin Bender. Nach Gesangsunterricht und Choreografietraining nahmen die Schlesi-Girl’z dann eine CD auf. „Wir sind so!“ rappen sie später am Abend mit kindlichen zornigen Gesichtern auf der Bühne. „So können wir laut sagen, was wir scheiße und was wir gut finden!“, benennt Aleks (16) den Vorteil, in einer Band zu spielen. Und Susu (16) freut sich: „Mit der CD haben wir was, das bleibt.“

Heidi Walter indes hofft, dass die über das Wrangelnetz entstandenen Kontakte und Zusammenarbeiten bleiben, auch über das Ende der „entimon“-Förderung hinaus. Die ist nämlich im Juni 2005 beendet. „Der Kiez ist durch das Wrangelnetz viel stärker zusammengewachsen“, zieht sie ein Fazit, „das Netzwerk, das sich entwickelt hat, wird bestehen bleiben.“