: Zehn Jahre große Koalition?
Klaus Wedemeier (SPD), Bremer Bürgermeister vor der großen Koalition, zieht eine Bilanz der Sanierungspolitik nach seiner Amtszeit und sieht den Zusammenhalt der großen Koalition schwinden
Geht Rot-Grün? Ja und nein. Was wäre anders in einer Koalition mit den Grünen? Mit den Grünen hätte es wahrscheinlich nicht die großen Pleiteprojekte gegeben, die der Senat heute teuer bezahlen muss. Auch die Verkehrspolitik würde anders aussehen, zum Beispiel keine Ausweitung des Concordiatunnels, damit künftig der Schwerlastverkehr mitten durch die Stadt fahren kann. Das Hollerland würde kein Streitpunkt mehr sein, die Umwelt könnte aufatmen. In der Bildungspolitik sind die Grünen mehr der Zukunft zugewandt als die CDU und könnten in einer rot-grünen Koalition im Sinne der Betroffenen sehr hilfreich sein. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden (Kultur, Gesundheit), solange wir nicht über das Bedürfnis (Recht!) der Menschen auf Arbeit diskutieren.
Bremerhaven gehört zu den Regionen in Deutschland mit den höchsten Arbeitslosenquoten. Der Senat bemüht sich, durch die Erweiterung des Containerterminals mehr Perspektiven für die ganze Region zu eröffnen. Wilhelmshaven ist kein Trost für die Arbeitslosen in Bremerhaven und umzu. Aber auch der Tiefwasserhafen wird von den Grünen abgelehnt. Nein, in Sachen Wirtschaft und Arbeit würde die rot-grüne Koalition ständig im Streit liegen.
Schwierig würde es auch in der Frage der Sanierung werden. Die Haushalte des Landes und der beiden Städte sind nicht konsolidiert. Heute haben wir mehr Schulden als zu Beginn der Sanierung und der großen Koalition. Schuldfragen müssen nicht gestellt werden.
Die dramatischen Steuereinbrüche der vergangenen Jahre sind nicht nur ein Problem des Landes Bremen, alle Länder kämpfen mit den Folgen. Die Grünen im Bund haben mutige Politikerinnen, wenn es darum geht, eine weitere Verschuldung auch durch unpopuläre Maßnahmen zu bremsen. Aber in Bremen und Bremerhaven? Fehlanzeige.
Die Frage, ob nicht acht Jahre große Koalition genug sind, darf gestellt werden. Die CDU hat diese lange Zeit nicht nutzen können, um zu beweisen, dass sie besser regieren und gestalten kann als die SPD allein. Am Anfang stand die Täuschung der Wählerinnen und Wähler durch große Versprechen eines Bank-Bürgermeister-Kandidaten, wider besseres Wissen. 600 Millionen Mark Schulden sollten jedes Jahr (!) getilgt werden, 60.000 neue Einwohner in Bremen und Bremerhaven begrüßt werden und dazu noch 50.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Wahrheit kennen wir alle. Weniger Bürger und weniger Arbeitsplätze als zu Beginn der großen Koalition, ohne jeden Vorwurf erwähne ich das. Es ging einfach nicht und das wusste die CDU auch. Der Schuldenberg ist durch die Nebenhaushalte und Gesellschaften des Landes und der Stadtgemeinden noch gewaltig höher als offiziell veröffentlicht.
Früher hat die CDU den Sozialdemokraten diese Praxis hämisch im Parlament vorgehalten, heute hat sie dieses Instrument perfektioniert. Schwamm drüber, der damalige Versprecher ist weg, seine Nachfolger sind und handeln viel klüger. Realisten eben, die wissen, dass man nur versprechen darf, woran man selbst glaubt. Der Finanzsenator ist zudem ein über Jahrzehnte erfahrener Politiker. Also: Finanzen, Wirtschaft, Arbeit (auch Inneres) sind Felder, die besser mit der CDU gestaltet werden können. Reicht das aus, um die große Koalition zu erneuern?
Der Zusammenhalt in der großen Koalition schwindet. In harten Sanierungszeiten braucht es aber große Mehrheiten im Parlament und die Überzeugung in der Bevölkerung, dass „die es schon packen werden“. Da fangen viele an zu zweifeln! Die große Koalition hätte den Vorteil, dass sie im Bund und in den Ländern gegenüber den jeweiligen SPD- oder CDU- geführten Regierungen einen direkten (Partei-) Zugang hätte. Das ist wichtig, muss doch erreicht werden, dass die Sanierungsleistungen des Bundes mit Zustimmung der Länder ab 2005 fortgesetzt werden, sonst sind wir endgültig pleite. Der „Kanzler - Brief“ wird nicht nur ständig fehlinterpretiert, er reicht auch nicht aus. Bundestag und Bundesrat entscheiden. Bismarck ist tot. Gerd Schröder braucht das Parlament (beide Kammern!), will er dem Land Bremen helfen.
Und wie erleben wir in Kenntnis dieser Fakten die große Koalition im Land Bremen heute?
So, wie sie sich derzeit präsentiert, halten wir das nicht mehr lange aus! Im Senat ist alles in Butter, dank „Schwartauer Runde“. Schönes Regieren, auch wenn nach außen keine Unterschiede zwischen SPD und CDU erkennbar werden. Wieder eine Ausnahme: die Bildungspolitik. Unsere SPD-Linke ist im Senat glücklich und zufrieden. Die CDU-Senatoren müssen die SPD nicht fürchten, nur ihren Fraktionsvorsitzenden. Und der steht im Verdacht, die große Koalition beenden zu wollen, um in vier Jahren selbst Spitzenkandidat sein zu können. Kann ich mir nicht vorstellen.
Das Problem liegt trotzdem im Parlament. Die Koalitionspartner sollen um die Sache streiten. Aber das, was wir seit einiger Zeit erleben, weist darauf hin, dass die Gemeinsamkeiten verbraucht sein könnten. Die CDU-Fraktion schlägt immer wieder auf die rot-grüne Bundesregierung ein und vergisst, dass wir erstens im Land Bremen sind und zweitens diese Bundesregierung uns weitere Zahlungen zur Sanierung zugestehen muss. Außerdem trägt ein solches Vorgehen dazu bei, Rot und Grün im Bremer Landesparlament zu zwingen, gemeinsam zu reagieren. Das schafft möglicherweise neue, gegenseitige Sympathien. Man sieht sich immer zweimal im Leben.
Ist Rot-Grün möglich? Die SPD weiß, dass ihr Spitzenkandidat die große Koalition fortsetzen will. Ein gutes Wahlergebnis wäre in erster Linie ihm zu verdanken, also würde anschließend die Koalitionsfrage gar nicht gegen ihn entschieden werden können. Wenn er sich in der Mitte der Legislaturperiode aus seinem Amt zurückziehen sollte, entscheidet die SPD die Koalitionsfrage neu, die große Koalition wäre nach zehn Jahren beendet.
Was aber wird geschehen, wenn die CDU am 25. Mai 2003 stärker wird als die SPD? Nach Niedersachsen nicht unmöglich. Dann gibt es einen CDU-Präsidenten im Parlament, aber nicht im Senat. Rot-Grün ist möglich. Rot-Schwarz auch. Keiner fragt nach der FDP, niemand braucht diese Partei.