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Archiv-Artikel

Drei Ave-Maria bei Orangenalarm

Zwischen Panik und Patriotismus: Vorkriegsimpressionen aus New York

Der neue, von den Medien herzlich unterstützte Nationalsport heißt „French-Bashing“

Bei mir zu Hause wird der Fahrstuhl repariert. Wir Bewohner sind derweil in den Lastenaufzug verbannt, was gesteigerte nachbarliche Kommunikation und regen Informationsaustausch mit unserem Doorman, der uns auf und ab befördert, zur Folge hat. Neulich morgens begrüßte er uns: „Heute ist ‚Orange Terror Alert‘.“

„Hm, und was heißt das jetzt?“

„Keine Ahnung, vielleicht kriegen wir morgen Zitrone?“

Auf dem Weg nach unten diskutierten wir die Lage, neun Etagen später stand das Ergebnis fest. Keiner blickte durch. Gelb, Orange, Himbeer, Ananas: alles Banane. Wir leben in einer Vorkriegswelt und sind von feindlichem Obst umzingelt.

In schweren Zeiten findet der Mensch unterschiedliche Wege, seine Ängste zu beruhigen. Der Ehemann und ich fuhren jedenfalls nach Queens – wo das Museum of Modern Art renovierungsbedingt sein einstweiliges Domizil aufgeschlagen hat –, um uns von der „Matisse/Picasso“-Ausstellung trösten zu lassen. Dazu nahmen wir jenen „Number Seven Train“, der vor ein paar Jahren von John Rocker, dem berüchtigten Pitcher des Atlanta Braves Baseballteams, mit folgenden, liebevollen Worten bedacht worden war: „Stell dir vor, du musst den Siebener zum Stadion nehmen, draußen sieht’s aus, als fährst du durch Beirut, neben dir sitzt ein Typ mit lila Haar, daneben irgend so ein aidskranker Schwuler, neben dem ein Kerl, der gerade zum vierten mal aus dem Knast entlassen wurde, und daneben ’ne zwanzigjährige Mutter mit vier Kindern. Deprimierend.“ Wir waren entsprechend gespannt, selbstverständlich auf die Kunst, aber zunächst mal auf Beirut und all die anderen versprochenen Begegnungen.

Und siehe da, schon in Grand Central bestieg eine schwergewichtige Frau unseren Wagen und ließ meine Gedanken in der Tat Richtung Beirut wandern. Die Dame schnaufte unter einer Gasmaske. Zwei Schnorchel standen ab wie eine doppelte Schweineschnute, einer schwarz, der andere lila. Die Dicke klammerte sich starren Blicks mit dem Rücken zum Wagen an den Haltegriff der Tür, die Schnorchelnase an der Scheibe klebend. Währenddessen fiel eine ältere Latina ächzend neben mir auf die Bank und schlug erst mal drei Kreuze, vielleicht wähnte sie in mir ja den Leibhaftigen. Dann fummelte sie ein zerfleddertes Heiligenbilderbüchlein aus ihrer Tasche, von der Art, wie wir sie als Kinder heimlich unter der Kirchenbank tauschten. Ihres empfahl „Meditationsvorschläge“, ich las: „Das Jüngste Gericht – bete drei Ave-Maria und vier Vaterunser.“ Ich verfluchte leise das Homeland Security Ministerium und seinen Orangenalarm, der verängstigte Bürger hinter Gasmasken und in Apokalypse-Fantasien trieb, und suchte spirituelle Stärkung in der Kunst. Später, auf dem Heimweg, durften wir dann noch einer leicht verfremdeten Variante amerikanischer Vaterlandsliebe beiwohnen. Die Gänge der Times Square Station hallten wider von seltsamen Sphärenklängen, und wir entdeckten einen Typen mit Rasta-Locken unter bunter Kopfbedeckung, der sich geschäftstüchtig an der Steeldrum-Version (!) von „America the Beautiful“ abarbeitete.

In der Washingtoner Repräsentantenhauskantine geht es dafür weniger erbaulich zu. Ein um die sprachliche Hygiene besorgter Abgeordneter hat durchgesetzt, den fiesen Franzosen zu zeigen, was Patriotismus ist. So wurde kurzerhand das Menu geändert und „French Fries“ in „Freedom Fries“ – jawohl: Freiheitsfritten! – umgetauft. Bei so viel Entschlossenheit kann im Irak eigentlich nichts mehr schief gehen. Überhaupt heißt der neue, von den Medien herzlich unterstützte Nationalsport „French-Bashing“ zu Deutsch etwa „Franzosen klatschen“. In New Jersey leerte vor ein paar Tagen ein stolzer Restaurantbesitzer und wahrer Patriot seinen Gesamtbestand an Dom Perignon ins Klo. Als die Fotografen der New York Times anrückten, waren die Flaschen leer – der Champagnervernichter füllte sie daraufhin mit Ginger Ale wieder auf und kam doch noch ins Bild. Ach ja. Wie herrlich perlte einst die Blase der Witwe Cliquot in dem Glase? Aus, vorbei. Hier gilt jetzt: Freiheit für Fritten! Kein Blut für Mayo! PIA FRANKENBERG