: Nebulös und ungenau
betr.: „Absage an die Neoliberalen“ von Jürgen Trittin, taz vom 11. 3. 03
Ein Sieg der Linken! Ich hab mich scheckig gelacht!
JEREMY D. KRSTIC, Hannover
Jürgen Trittin überschreibt seinen Beitrag mit der „Absage an die Neoliberalen“. So begrüßenwert ich dies grundsätzlich auch finde – sofern dies tatsächlich ernst gemeint sein sollte –, bleibt er doch leider sehr nebulös und ungenau bezogen darauf, was gegenwärtig auf der sozialpolitischen Agenda steht und was demnach konkret in Politik umzusetzen bzw. auch zu bekämpfen ist. Auch geht er mit kaum einem Wort darauf ein, mit welchen gesellschaftlichen Kräften was gegen welche Interessengruppierungen durchgesetzt werden sollte.
Seine These, dass der Widerspruch zwischen Modernität (welcher?) und Gerechtigkeit eine Schlüsselfrage für die Mehrheitsfähigkeit der Linken ist und der Vorrang für Gerechtigkeit vor der blinden Macht Ökonomie die strukurelle Gemeinsamkeit in der sozialen Basis von Rot-Grün sei, mag ja einleuchtend sein. Wieso beteiligt er sich dann aber als Kabinettsmitglied der gegenwärtigen Regierung widerspruchslos an genau dem Sozialabbau, welchen diese Regierung bereits seit einiger Zeit betreibt und den sie nun sogar noch verschärfen will (Aushebelung des Kündigungsschutzes, Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, usw.)?
Zweifellos hat er Recht damit, dass vielfach überhaupt noch nicht hinreichend begriffen worden ist, was die Umsetzung der allermeisten Hartz-Module in der Praxis für viele „grüne Milieus“ bedeuten wird; warum aber spricht er sich dann nicht konkret und eindeutig gegen die geplante Umsetzung des Hartz-Konzepts aus? Wo bleibt in der grünen Partei die „Offensive für soziale Gerechtigkeit“, welche er im Schlusssatz seines Beitrages als notwendige Voraussetzung für eine Erneuerung (im Sinne einer ökologischen Wirtschaftspolitik) fordert? Leider sehe ich diese dort fast nirgends, eher das Gegenteil ist der Fall.
Viele grüne Mandats- und Entscheidungsträger scheinen sich zu Befürwortern einer neoliberalistischen Politik geändert zu haben. Dafür wurden sie allerdings tatsächlich nicht gewählt! Aus diesem Grund halte ich die Forderung von Wilhelm Achelpöhler, Vorstandssprecher des KV-Münster (s. das Interview mit ihm in der taz vom Samstag, 8.3.03) nach einem Sonderparteitag zur Sozialpolitik als zwingend notwendig, und unterstütze sie hiermit auch. Wenn Jürgen Trittin es ernst meint mit seiner Absage an den Neoliberalismus, dann sollte er sich zumindest auch für diesen Sonderparteitag – als Chance dazu, aus „grüner“ Sicht eine andere Sozialpolitik als die der gegenwärtigen Bundesregierung zu formulieren und zu fordern – aussprechen! MARTIN REDIKER,
Vorstandsmitglied des OV-Lippstadt von B’90/ Die Grünen
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