: Gemeißelte Delikts-Dialektik
Ehemaliger Wahlkampfhit Innere Sicherheit wird in der Bürgerschaft wiederbelebt. Weil alle Fraktionen der Kriminalstatistik der anderen nicht glauben mögen
Knapp vier Wochen vor der Bürgerschaftswahl wird es doch noch ein bisschen gehätschelt, was lang so schmählich vernachlässigt wurde: Das Thema Innere Sicherheit, der politische und mediale Wahlkampfhit der Vergangenheit. Die Polizeiliche Kriminalstatistik, Anlass der gestrigen Debatte in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft, bietet sich mit ihrer unklaren Tendenz dafür auch prächtig an. Denn alle Seiten klauben sich aus ihr die Wahlkampfmunition heraus, die sie brauchen. CDU-Innenpolitiker Carsten Lüdemann zum Beispiel glaubte zu erkennen: „Wir sind auf dem richtigen Weg und machen da weiter.“ Oder der Eisenbeißer der ehemaligen Schill-Partei, Frank-Michael Bauer, der den schönen Satz sagte: „Die Kriminalität zu bekämpfen, dazu bedarf es Menschen, deren Herz rechts schlägt.“
Gemünzt war das auf den SPD-Innenexperten Michael Neumann, der zwar nicht offen legte, auf welcher Seite sein Herz schlägt, aber stattdessen den Senat der „politischen Willkür“ und Unredlichkeit bei der Interpretation der Kriminalstatistik bezichtigte. Misserfolge würden schöngeredet und die Fehlentwicklungen, die zum Anstieg der Zahlen geführt haben, totgeschwiegen. Nicht die Kriminalität sei gesunken, sondern die Aufklärungsquote, und in der Drogenbekämpfung sei der Senat „komplett gescheitert“. Neumann sah durchaus Parallelen zum früheren SPD-Senat: „Sie fangen jetzt schon genauso an, wie wir geendet haben, und deshalb werden Sie dasselbe erleben wie wir vor zwei Jahren und in der Opposition landen.“
Die Koalitionäre in Auflösung brachte er damit in Rage. Bauer schimpfte Neumann einen „Durchlauferhitzer“, ohne näher zu erläutern, was er damit meinte, sein Parteifreund und Innensenator Dirk Nockemann wollte sich „die erfolgreichen Zahlen nicht von einem kaputtreden lassen, der für die größte offene Drogenszene Europas mitverantwortlich war“.
Die „grausige Hinterlassenschaft“ von Rot-Grün, versprach Nockemann, werde er den Wählern in den kommenden Wochen „einmeißeln“, und Dietrich Wersich (CDU) verging sich in Delikts-Dialektik: Dass die Zahl der Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen laut Statistik so stark zugenommen habe, zeuge von einem „neuen Klima“ unter Schwarz-Schill – Frauen trauten sich nun, Übergriffe anzuzeigen.
Was die GAL-Abgeordnete Sabine Steffen nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen konnte: Es könne keine Rede davon sein, dass das subjektive Sicherheitsgefühl in der Stadt gestiegen sei, so Steffen, „und aus dieser Statistik lässt sich dies schon gar nicht ablesen“. Peter Ahrens