Gesundheit ist unerheblich

Eine bosnische Familie soll abgeschoben werden. Der Vater hat ein Trauma. Die Tochter ist schwerstbehindert. Alles kein Grund, meinen Behörde und Gericht

„Pünktlich!!!“ soll Mirko M. zu seiner Abschiebung sein. Das Ausländeramt hat drei Ausrufungszeichen in den Bescheid gedruckt, damit M. es nicht vergisst. Mit seiner Familie soll er zurück nach Bosnien. Obwohl sie seit zehn Jahren in Berlin leben. Tochter Irena, 10, ist hier aufgewachsen. Tochter Andrea, 16, ist spastisch gelähmt. Sie kann nicht reden und nicht essen. Der Vater ist in psychiatrischer Behandlung. Er hat ein Trauma vom Krieg her, vor dem die Familie geflohen ist. Alles kein Grund, die Familie nicht abzuschieben, meint die Ausländerbehörde. Freitag in einer Woche geht das Flugzeug. Morgen haben die M.s vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) eine letzte Chance.

„Dass der Vater traumatisiert ist, wurde nicht akzeptiert. Obwohl wir entsprechende Gutachten haben“, empört sich Burkhart Person, Anwalt der Familie. Er hatte gegen die Abschiebung Einspruch eingelegt. Das Verwaltungsgericht lehnte ab. Begründung: „Der Antragsteller hat sich erst nach dem 1. 1. 2000 in fachärztliche Behandlung begeben.“ Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz erhalten traumatisierte Bosnien-Flüchtlinge eine Aufenthaltsgenehmigung. Allerdings nur, wenn sie schon vor dem 1. Januar 2000 in Behandlung waren. Mirko M. nimmt Medikamente und ist in ständiger Therapie, aber erst seit November 2000. Wenn er abgeschoben wird, werde er einen Rückfall bekommen, sagt seine Therapeutin: „Fehlhandlungen wären bei Herrn M. in der Folge nicht auszuschließen.“

Anwalt Person ist sauer über das Urteil: „Die Entscheidung ist offensichtlich von jemandem, der das Verfahren nur aus Akten kennt.“ Am schlimmsten würde die Abschiebung die ältere Tochter treffen. Andrea ist an Armen und Beinen spastisch gelähmt. Sie kann nicht sprechen. Sie muss mit Flüssignahrung gefüttert werden. Kürzlich wurde sie operiert, damit sie wenigstens in einem Spezialständer stehen kann. Ohne Medikamente drohen epileptische Anfälle. „Diese sind potenziell lebensgefährlich“, heißt es in einem Gutachten der Charité. Das Gericht sagt: „Damit ist der alsbaldige Eintritt einer erheblichen Gesundheitsgefahr nicht dargelegt.“ Der Anwalt dagegen ist sich sicher: „Eine gute gesundheitliche Versorgung ist in Bosnien oder Kroatien nicht möglich.“ Die Familie gehörte in Bosnien zur kroatischen Minderheit und könnte auch nach Kroatien abgeschoben werden. Gericht und Behörde urteilten, auf die Behandlungsmöglichkeiten für die „Antragsteller“ komme es nicht an.

Wenn die Berufung vor dem OVG keinen Erfolg hat, muss sich Familie M. kommende Woche bei der Polizei melden. Reisegepäck maximal 20 Kilogramm. Das Ausländeramt ist zuvorkommend: „Für den Flug wurde berücksichtigt, dass Ihre Tochter in einem Rollstuhl verbleiben kann.“ BERNHARD HÜBNER